Chronik gesellschaftlichen Wandels, 01.01.2003 Kultur als Zukunftsmacher
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| [1] Auf dieser Seite soll in schemenhafter Form eine denkbare Rolle der Kultur als Steuereinheit von Zukunftsgestaltung dargestellt werden. | ||||||
 Bild 1: Zukunftsgestaltung und Kultur |
 Kulturtreibende
Menschen kommunizieren und erzeugen fragmentarische
Visionen.
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| [2] Zu A: Ein großer Teil menschlicher Aktivität lässt sich einem weitgefassten Begriff von Kulturtätigkeit unterordnen. Als Kultur sei an dieser Stelle jegliche Tätigkeit verstanden, die auf den zwischenmenschlichen Austausch von Gedanken, Gefühlen, Hoffnungen und so weiter gerichtet ist. Ein Gespräch am Stammtisch, ein gemeinsamer Theaterbesuch und Fernsegucken sind in diesem Sinne genauso Kultur wie die Teilnahme an christlichen Gesprächskreisen, die Erzeugung von Werbung oder das Verfassen von Parteiprogrammen. | <= Weitgefasster Kulturbegriff | |||||
[3] In
einem so verstandenen Kulturbetrieb entstehen ständig
mehr oder minder fragmentarische Bausteine von
Zukunftsvisionen und -prognosen:
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<= Bausteine von Zukunftsvisionen
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| [4] Zu B: Politiker achten stark auf Stimmungsbarometer wie etwa Wahlumfragen oder Artikel in Boulevardzeitungen und sie richten unter anderem ihre Gesetzesinitiativen daran aus. Ob es um ausländerbezogene Gesetzgebungsverfahren, die Ökosteuer oder Einsätze der Bundeswehr geht: Gesetze spiegeln stark wider, was im Kulturbetrieb (Stammtisch, Fernsehen, Zeitungen etc.) vorher an Meinung entstanden ist. Und in welchem Maße manipulative Eingriffe am menschlichen Erbgut oder Überwachungstätigkeiten des Staates zukünftig erlaubt sein werden, wir ebenfalls stark von den gegenwärtig ablaufenden kulturellen Meinungsbildungsprozessen abhängen. | <= Kultur steuert die Gesetzgebung
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| [5] Auch Geldströme werden stark vom Kulturbetrieb beeinflusst. Große Firmen wie etwa der Ölkonzern Shell ließen in den 1990er Jahren ein Projekt zur Versenkung einer Ölspeicherplattform im Meer infolge öffentlicher Proteste fallen. Kurz darauf begann der Konzern in regenerative Energien (Solarfabrik in Gelsenkirchen) zu investieren. Spenden für Entwicklungshilfetätigkeit, die Verbreitung ethisch-ökologisch orientierter Fonds aber auch das ganz normale Anlageverhalten im Bezug auf technisch oder regional orientierte Geldmarktfonds sind Beispiele dafür, wie Geldflüsse ziemlich unmittelbar durch Kultur beeinflusst werden: Wenn Kultur und öffentliche Meinung glauben, dass Kommunikationstechnik die Technik der Zukunft sei, dann fließen viele Gelder in diese Richtung und weniger Gelder in z. B. Meerestechnologie. | <= Kultur steuert Geldströme
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| [6] Zu C: Im Gegensatz zum Kulturbetrieb, in dem Meinungen, Zielvorstellungen und Träume erzeugt und gehandelt werden, steht der kreative Bereich des Machens: Unternehmen und Forschungseinrichtungen erzeugen handfeste Produkte. Sie erzeugen Raumfähren, Mikrowellenherde, Gentechnik, Aktivkohle, Tunnbelbohrmaschnen aber auch ideelle Produkte wie Gesetze, Unternehmensverfassungen, Handlungsempfehlungen etc. | <= Macher: Forschung und Industrie
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| [7] Diese produktive Forschungs- und Entwicklungstätigkeit benötigt aber große Ressourcen, die bei weitem die Möglichkeiten idealistischer Individuen übersteigen. Große Geldströme, die über Institutionen wie die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die Europäische Union, die Fraunhofergesellschaft oder auch Naturschutzverbände wie Greenpeace oder den BUND gesteuert werden setzen klar erkennbare Schwerpunkte in der Forschungs- und Entwicklunslandschaft. Welche Ergebnisse etwa hinsichtlich einer Entwicklung sanfter Methoden der Landwirtschaft oder des Tourismus ausgegeben wird oder welche Innovationsimpulse der europäische E-Commerce erhält hängt maßgeblich davon ab, wie stark welche finanziellen Gießkannen Geld spenden. Und welche Schwerpunkte etwa die EU oder die DFG setzen hängt letztendlich wieder vom Kulturbetrieb ab. Denn nicht nur Politiker hängen von der öffentlichen Meinung ab. Auch einzelne Entscheidungsträger in geldsteuernden Institutionen orientieren sich - zu Recht - an der öffentlichen Meinung. Ob sich eine EU-Kommisarin für eine Intensivierung oder eine Kürzung von Forschungsgeldern für die Atomindustrie ausspricht dürfte nicht zuletzt auch durch die öffentliche Stimmung gegenüber diesem Industriezweig geprägt sein. | <= Geldströme lassen bestimmte Forschungsfelder aufblühen oder verwelken (verwelkt ist z. B. der Meeresbergbau) | |||||
| [8] Natürlich wirken auch die Macher selbst auf den Kulturbetrieb ein: Industrieverbände verrichten Lobbyarbeit um Geldströme und Gesetzesverfahren in ihrem Sinne zu steuern. Naturschutzverbände empfinden es als Teil ihrer Aufgabe, sich intensiv an der öffentlichen Meinungsbildung zu beteiligen und Unternehmen beeinflussen mit ihren Werbebotschaften die öffentliche Wahrnehmung und Meinung maßgeblich. Insofern fehlt in dem Bild oben vielleicht eine Verbindung von den machenden Menschen im unteren Bereich zu den kulturtreibenden Menschen im mittleren Bereich. | <= Verzahnung von "Meinern" und "Machern" | |||||
| [9] Zu D: Nun, die erzeugten Produkte der Macher setzen sich früher oder später zu unserer Zukunft zusammen. Wenn wir heute Techniken zur Genmanipulation erzeugen, dann wird ihre Anwendung oder ihre Unterdrückung morgen Teil der Gegenwart sein. Wenn wir heute Magnetschwebebahnen entwickeln, werden sie vielleicht morgen Flugzeuge im Mittelstreckenbereich zunehmend verdrängen und wenn wir heute Gesetze erzeugen, die die Implantierung von Überwachungschips in Staftäter erlaubt, dann werden morgen vielleicht satellitenüberwachte Menschen unter uns sein. | <= Morgen als Ergebnis von Heute Zur Zeit (Anfang 2003) steht die erste kommerzielle Magnetschwebebahn der Welt in Shanghai vor der Eröffnung. |
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| [10] Es stellt sich an dieser Stelle aber die Frage, wie zuverlässig sich denn die Einzelprodukte heutigen Tuns zu lebenswerten Zukunftsszenarien zusammenfügen werden: | ||||||
Bild 2: Nicht alle Bauteile passen zusammen |
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| [11] Wie, zum Beispiel, wird der zunehmende Druck auf Arbeitnehmer hin zu mehr Mobilität mit dem Idyll fester Familienbeziehungen (Ramawerbung) harmonieren? Wie wird ein beharrlich zunehmender Massentourismus mit der ansteigenden Verelendung vieler Touristengebiete wechselwirken? Zu welchen politischen Konstellationen wird der europäische Verzicht zum Aufbau eines eigenen Raketenabwehrsystems in Verbindung mit genau solchen Aktivitäten der US-Amerikaner führen? | <= Wie entwickelt sich Zukunft aus den
Bausteinen von Heute? Der US-Präsident George Bush fördert den Aufbau eines Raketenabwehrschildes. |
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| [12] Betrachtet man sich noch einmal Bild 1 und fragt man sich, wie denn die öffentliche Meinung entsteht die letztendlich die Bauteile der Zukunft erzeugen lässt, dann fehlt etwas ganz Wesentliches: | ||||||
| [13] Es fehlen detaillierte, seriöse und diskutierfähige Gesamtentwürfe der Zukunft, aus denen man rückwirkend heraus die Erzeugung der Bausteine von Zukunft ableiten könnte. | <= Es fehlen Visionen | |||||
| [14] Wohin die Forschungsgelder und Investitionsströme heute fließen wird stark durch gegenwartsbezogene Einzelinteressen von Menschen, Unternehmen, Verbänden, Parteien etc. gesteuert. Ein Privatanleger investiert vor allem dort, wo er sich die größte Rendite für die unmittelbare Zukunft erhofft. Ein Unternehmensverband, dessen Mitglieder mit manipulativer Gentechnologie Geld verdienen könnten, wird auf die Stärkung eines solchen Industriebereiches hinwirken. Und weder der Kleinanleger noch der Unternehmensverband wird unaufgefordert darüber Auskunft geben, zu welchem Gesamtkonzept einer Zukunft dies passen soll. Denn zum Einen kann dies nicht deren Aufgabe sein und zum Zweiten gibt es kaumsolche Gesamtkonzepte. Zukunftsgestaltung wie sie heute stattfindet sieht eher so aus: | <= Klientelwirtschaft statt abgestimmtes Gesamtkonzept | |||||
Bild 3: "Gegenwartsbezogene Zukunftsgestaltung" |
<= Zukunftsgestaltung ohne Gesamtplan Den Gegensatz zu geplantem Handeln nennt man im Paradigma der "Computer Supported Cooperative Work" (CSCW) auch "situated action". Handeln ohne Plan kann manchmal sinnvoll oder einzig machbar sein. |
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Heute erzeugen verschiedene Interessengruppen in
Konkurrenz und Kampf zueinander verschiedene Bausteine
von Zukunft. Wie diese Bausteine sich einmal
zusammenfügen werden ist schwierig vorhersehbar: (Gl.
1) Free Trade + Fair Trade = x Enthält die Lösungsmenge der Gleichung 1 überhaupt Elemente oder ist sie leer? Sind der Gedanke von freiem und fairem Handel vereinbar? Welche Elemente enthält die Lösungsmenge von Gleichung 2? Führt die Behandlung von menschlicher Arbeitskraft als normale Handelsware im Sinne eines Freihandels zu öknomisch versklavten Menschen? Könnte diese Kombination sogar dazu führen, dass ärmere Menschen ihren Körper oder die Gene ihrer Kinder unter ökonomischem Druck verkaufen und somit die Erschaffung neuer Menschentypen ermöglichen? Gibt es ein z welches die Gleichung 3 erfüllt? Müssen weitere Faktoren in die Gleichung eingebaut werden, um gegebenfalls die gewünschte Lösungsmenge weiter einzugrenzen? |
<= Zukunft als ungelöste Gleichungen
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| [16] Ich möchte diese Seite mit einer Idee abschließen, die für eine gewisse Planwirtschaft sprechen soll. Der kulturell-gesellschaftliche Meinungsbildungsprozess sollte demnach stärker angereichert werden mit Erkenntnissen über technische Machbarkeiten sowie Folgenabschätzungen von Technologien, Gesetzen etc. Und als ein wesentliches Ergebnis der Kulturtätigkeit sollten potenziell ausführbare und klar erkennbare Gesellschaftsentwürfe entstehen, aus denen man konkrete Maßnahmen für die Gegenwart ableiten kann. Entwürfe zukünftiger Gesellschaften sollten einerseits seriösen, wissenschaftlichen Betrachtungen standhalten und andererseits ausreichend anschaulich und unterhaltend sein, um sie als Vergegenständlichung von umfassenden Konzepten in die öffentliche Diskussion einzubringen. | <= Notwendigkeit für anschauliche, seriöse Visionen | |||||
| [17] Hierzu bieten sich vielleicht die entstehenden Technologien der virtuellen Realität an. Wer eine Spielhölle besucht und dabei in Erinnerung hat was vor zehn Jahren möglich war wird erstaunt sein, wie realistisch heute künstliche Welten erzeugt werden können. Man spricht von immersiven Techniken, wenn der Spieler sozusagen die echte Realität vergisst und ganz in der künstlichen Welt versinkt. Und es gibt bereits internetfähige Spielmöglichkeiten um gemeinsam mit Spielern aus aller Welt in Scheinrealitäten einzutauchen. | <= Virtuelle Realitäten als Möglichkeit
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| [18] Bestünde hier nicht eine faszinierende Möglichkeit, zukünftige Wirklichkeiten sozusagen als "spielfähige" virtuelle Realitäten zu modellieren und quasi mit echten, menschlichen Spielern zu testen? | <= Spielbare Visionen? | |||||
| [19] Aber man muss nicht unbedingt auf`entstehende Computertechnologie zurückgreifen. Man könnte auch Freizeitparks, Theaterstücke oder Museen als interaktive Zukunftszenarien gestalten. Wäre es nicht einmal interessant, eine Woche lang in einem Freizeitpark zu wohnen, in dem soziale oder ökonomische Spielregeln der Zukunft realisiert sind und in dem vielleicht auch professionelle Schauspieler mitspielen? | <= Freizeitparks und interaktive Theaterstücke? | |||||
| [20] Ich glaube, dass die Erfordernis, unsere Zukunft auf eine greifbare und wissenschaftlich vertretbare Weise in Visionen zu planen zu faszinierenden Projekten, Berufen und Kultureinrichtungen führen könnte in denen Kreativität, Teamgeist und ganzheitliches Denken gefordert werden. Und die Zukunft ernsthaft als Vision zu gestalten könnte auch den Blick für eine größere Bestimmung individuellen Lebens eröffnen, als bloß im alltäglichen Kleinkampf um beruflichen Erfolg und soziale Anerkennung sein Ich im Jetzt zu betrachten. | <= Aktive Zukunftsgestaltung als persönliche Erfüllung | |||||
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