Das wissenschaftliche Experiment als Lösung? Der Nutzen für die Wirtschaft

 
In der Rubrik "knifflige Fragen" wurden einige Probleme aufgeworfen, die der Maximierung der Kartoffelernte sehr ähnlich sind. Wenn nun die Anwendung des wissenschaftlichen Experimentes derart erfolgreich ist stellt sich die Frage nach der Übertragbarkeit.

Das wissenschaftliche Experiment (oder die Beobachtung) ist möglich wenn

  1. es eine ausreichend grosse Anzahl von ähnlichen zu beobachtenden Fällen gibt oder
  2. im Rahmen einer Testreihe relevante Faktoren wahlweise eingefroren oder variiert werden können..

Beides ist in der Regel im Wirtschaftsgeschehen kaum denkbar. Umweltfaktoren wie etwa die Bedürfnisse der Kunden (Mode, Zeitgeist!), die Höhe von Steuern, Umweltschutzauflagen, der Grad der Korruption, die allgemeine Konjunktur, die Lage am Arbeitsmarkt sind äusserst wechselhaft und lassen sich sicherlich nicht von einem Unternehmen "einfrieren".

Aber auch die unmittelbar manipulierbaren Faktoren -die Gene aus der Rubrik "Das Modell" können kaum "eingefroren" werden. Man wird kaum im Rahmen einer Testreihe die Wahl der Zuliefererbetriebe über einen längeren Zeitraum unverändert lassen, wenn zum Beispiel dringende lokalpolitische Gründe dagegen sprechen.

Man wird sich nur schwerlich ein Unternehmen vorstellen können, welches eine Grosszahl seiner erfolgsrelevanten Faktoren einfriert und über einen längeren Zeitraum lediglich einen Faktor verändert. Für wirtschaftliche Unternehmen kommt deshalb weniger das gezielte Experiment mit Testreihen in Frage als vielmehr die gezielte Beobachtung. Diesen Ansatz verfolgt die Methodik des Benchmarking.

Eine weitere Einschränkung ist der Zwang zum Erfolg von Unternehmen. Experimente helfen oft dann besonders schnell Abhängigkeiten und Gesetzmässigkeiten aufzudecken, wenn besonders frappante Fehlfunktionen eines Systems auftreten:

  • Die Genetik verdankt viele Erkenntisse der Betrachtung von Behinderungen und Abnormitäten, bei Tieren werden diese sogar künstlich erzeugt.
  • Die Gehirnwissenschaften verdanken viel der Beobachtung von Behinderungen und Läsionen.
  • Die Wirkung von neu entwickelten Arzneien und Kosmetika werden in bewusst lethalen Experimenten an Tieren untersucht.
  • Über die Kartoffel könnte man besonders viele herausfinden, wenn man verdächtige Einflussfaktoren radikal auf "negativen Einfluss" stellt, also zum Beispiel Kartoffeln mitten im Frost aussetzt, sie zwei Meter tief einpflanzt, oder bewusst Kartoffelkäfer fördert.

Wirtschaftliche Unternehmen können sich solche erkenntnisbringenden Experimente nicht erlauben. Jedes Experiment grösseren Ausmasses steht unter dem Druck, dennoch etwas zum Unternehmensziel beizutragen.

Auf einer Erfolgsfläche veranschaulicht könnte man sich jedes Experiment als einen Punkt vorstellen. Ein Wissenschaftler würde die Punkte gezielt so plazieren, um Vermutungen über die Form der Erfolgsfläche zu überprüfen. Vermutet er an einer bestimmten Stelle ein absolutes Minimum und würde dessen Auftreten eine hypothetische Formel bestätigen, würde er ein Experiment auf diesem Punkt plazieren.

Ein Wirtschaftsunternehmen müsste wahrscheinlich auf diese Erkenntnis verzichten. Es muss darauf achten, mit jedem "Experiment" möglichst hoch auf der Erfoglsfläche zu bleiben. Stellt man sich eine Population evolutiv konkurrierender Individuen vor, so werden diese sich in der Regel nur auf den Gipfeln, Höhenzügen und Hochplateaus der Erfolgsfläche aufhalten.