Kyberland: Leben nach dem Tod
IP/EP-Nr.: 94.43/99432


   
Die nachfolgende Schilderung stellt ein Kondensat aus tausenden Einzelberichten von Probanden dar. Fast alle der Erzählelemente wurden auf mehr oder minder gleiche Weise von Menschen verschiedenster sozialer Ränge, kultureller Hintergründe, Berufsstände, Rassen etc. erwähnt. Daraus zeichnet sich das sehr zwiespältige Bild einer kommerziellen Transplantation menschlicher Gehirne in virtuelle Computerwelten.   Ein geheimnisvoller Staub induziert Halluzinationen in Computern und MenschenZur Hintergrund: Der antarktische Staub als psychoaktive Wissensvermittlung: die Memoiren des Prof. Hans
Der nachfolgende Text stammt von Irvin Wunderblum, einem Literaten von Weltrang. Wunderblum verdichtete tausende von Dokumenten und extrahierte die wesentlichen übereinstimmenden Merkmale. Hier nun der Text:   <= Der Autor
     
Mit meinem Leben hatte ich abgeschlossen und wartete nun auf das Ende. Ich hatte ein erfülltes Leben gelebt und mich von allen meinen Lieben verabschiedet. Dank diverser medizinischer Möglichkeiten war ich gerade dabei kontrolliert und sanft in`s Jenseits hinüber zu gleiten. Ich war zufrieden. Meine Umwelt nahm ich immer schwächer wahr. Sie entglitt immer mehr und ich war gespannt darauf, nun endlich das Geheimnis der Geheimnisse selbst ergründen zu dürfen: das Wunder des Todes.   <= Bereit zum Sterben
Ich lag in einem ganz normalen Krankenbett in einem ganz normalen Krankenzimmer in einem ganz normalen Krankhaus. Man hatte mir eine erstklassige medizinische und menschliche Betreuung gegeben.   <= Im Krankenhaus
Schon halb im wohligen Dämmerschlaf des sanften Sterbens begriffen nahm ich plötzlich ein leise murmelndes Stimmengewirr wahr. Es waren, das vernahm ich ganz klar, einige der Ärzte und Schwestern die ich über die letzten Wochen meines Lebens respektieren und schätzen gelernt hatte. Ich versuchte meine Augen zu öffnen, doch die Lider waren zu schwer.   <= Letzte Wahrnehmungen
Es waren auch mir unbekannte Stimmen zu hören. Die Stimmen älterer, autoritär redender Männer. Ich hörte die Oberschwester mit ruhiger Stimme sagen "heute Nacht wird er ruhig entgleiten. Er hat bereits keine bewusste Wahrnehmung mehr. Es ist alles vorbereitet". Die schroffe Antwort einer mir unbekannten Stimme: "Hoffentlich. Wir brauchen das Material unbedingt für das laufende Projekt. Es ist gutes Material. Ich nehme sie beim Wort. Mein Unternehmen duldet keine weiteren Ausfälle".   <= Unerwartetes Gerede
Darauf sprach der Chefarzt einige beruhigende Worte dahingehend, dass auch das Krankenhaus an der Weiterführung der Kooperation äußerst interessiert sei.   <= Kooperation?
Ich wunderte mich, denn die üblichen Organtransplantationen waren ein Standard, für den weder ein Chefarzt noch sonst welche Personen bemüht werden mussten.   <= Transplantation?
Da spürte ich, wie jemand Markierungen an meinem Hals vornahm und etwas Kühles auf meine Schläfen klebte. Das Letzte was ich von der Unterhaltung hörte waren die schroff gesprochenen Worte: "Die Amygdala. Sie wissen worum es geht. Die Amygdala!"   <= Letzte Vorbereitungen
Dann traten Schwärze und Stille um mich ein. Ich empfand Ruhe und eine freudige Erwartung. Meine Erinnerungen entglitten mir immer mehr und zurück blieb zunehmend reines Gefühl. Ich suchte vergeblich nach Urlaubserinnerungen und ich merkte wie mir Ländernamen, Ortsnamen und Bilder nicht mehr zugänglich waren. Da durchfuhr mich ein heisser Schmerz wie das Stechen tausender glühender Nadeln. Unmittelbar darauf war mir die Fähigkeit zum Denken in Worten abhanden gekommen. Ein neuer Schmerz und ich hatte keine Vorstellung mehr von Farben. Und wieder ein Schmerz: Melodien und Töne gab es in meiner Vorstellung nicht mehr. Nur noch Gefühl. Schöne Gefühle, vor allem. Aber auch andere.   <= Das Sterben
Dann spürte ich ein Kneten meines Körpers, sanftes Drücken meiner Hände und Füße, ein Ziehen an meinen Ohren. Grelle Lichtblitze. Plötzlich waren sie wieder da: Wörter, Melodien, Töne. Und auch Erinnerungen an Urlaubsorte und Ausflugsfahrten.   <= Wiedergeburt
Das Dunkel um mich herum erhellte sich langsam und ich erblickte eine wunderschöne Landschaft, ganz so wie ich mir das Paradies vorgestellt hatte. Tiger und Schafen schritte friedlich nebeneinander her, Regenbogen überspannten den Himmel und Harfenklänge erklangen aus der Ferne.   <= Im Paradies
Da vernahm ich die Stimme, die ich im Krankenzimmer zuletzt gehört hatte. Sie drang aus den Wolken herab an meine Ohren und klang jetzt freundlich und wohlmeinend:   <= Willkommen
"Willkommen in Kyberland. Nun, gefällt es ihnen?"    
Ich antwortete erstaunt und zaghaft mit "ja, soweit".    
"Wohl denn", sprach die Stimme weiter zu mir, "ich darf ihnen vielleicht auch erklären wo sie sich befinden. Ihr Gehirn befindet sich in einer Nährlösung und ist über verschiedenste Schnittstellen an ein Computersystem angeschlossen. Kyberland eben. Sie sind jetzt unsterblich. Was sie vor kurzem als Entgleiten mancher Erinnerungsfragmente und mancher Wahrnehmungen verspürten waren einige unvermeidliche Nebenwirkungen während der Exzerebrierung, also dem Umtopfen ihres Hirnes, sozusagen. Was sie sehen ist eine Art Default-Paradies. Wir haben es so eingestellt, wie sich die meisten Menschen das Paradies vorstellen. Sie können es bald ändern, wenn sie wollen.   <= In der Computersimulation

Ein schrulliger Professor kreiert Leben in ComputerkistenKurzbeschreibung einer skurrilen Kurzgeschichte von Stanislaw Lem: Prof. Corcoran`s Welt

Sie werden sich sicher fragen, was jetzt folgt. Keine Angst. Kyberland ist der virtuelle Teil unseres noch geheimen Unternehmens welches Wissensdienstleistungen aller Art anbietet. Schon `mal `was von GLifeX gehört? Wohl nicht, was? Wenn sie sich an die Umgebung hier gewöhnt haben, dann werden wir zunächst einmal mit der Konfiguration ihrer Lebensbereiche beginnen. Sie haben die volle Kontrolle über alles. Mit etwas Übung können sie durch bloße Vorstellung beliebige Wahrnehmungen generieren: Landschaften, Personen, Essen, Gefühle, Naturgesetze - alles!   <= Allmacht!

GLifeX: ein Konzern der realen WeltMehr über GLifeX, ein erfolgreicher Life-Style-Provider der dritten Generation

Sie sind übrigens nicht alleine in Kyberland. Dank unserer meist guten Zusammenarbeit mit einigen Krankenhäusern leben hier bereits über 4000 exzerebrierte Menschen. Sie werden sie bald treffen. Seien sie auf der Hut.   <= Nicht alleine
Es gibt einen Bereich in Kyberland, den sie nicht vollständig kontrollieren können: das sogenannte shared-cyber-land oder, wie wir es hier nennen: die real-world. Diesen Bereich haben wir ganz schön stark der realen Welt nachempfunden und dort treffen sich die Bewohner von Kyberland. Für die real-world haben wir die Simulations-Software so programmiert, dass jeder Bewohner ein Mindestmaß an Beständigkeit erfährt. In der real-world können sie weder den Himmel lila machen noch einen anderen Menschen wegwünschen. Tja, sie müssen sich den Himmel halt mit den anderen teilen und wo kämen wir da hin, wenn jeder machen könnte was er wollte. Hier geht das wohl."   <= Die alte Welt

Einige Eigenschaften einer solchen Software zur Wahrung der Datenkonsistenzsimulierte Welten für Mehrbenutzersysteme

Ich fragte: "wozu".    
"Geld" war die Antwort. "Sie sind da, um Geld zu verdienen. Laufen sie einige Wochen durch Kyberland, erfüllen sie sich alle Wünsche ihres alten Lebens. Niemand wird sie aufhalten. Aber irgendwann sind sie dessen überdrüssig. Sie brauchen eine Aufgabe. Allmacht macht müde, glauben sie mir. Sie werden sich danach sehnen, für die Erfüllung von Wünschen arbeiten und denken zu müssen. Sie werden sich nach Versagung und Enttäuschung sehnen. Sie werden Herausforderungen suchen, von denen sie nicht vorher wissen, ob sie sie erfüllen können.   <= Der Nutzen der virtuellen Welt

Eine andere Phantasie: Gehirne in Kisten sollen Geld verdienen...Welt am Draht: Namibia

All das finden sie in der real-world. Dort brauchen sie Geld. Dort gibt es Kälte, Schmerz, Hinterhältigkeit zwischen Menschen, Hass, Gewinnsucht aber auch Liebe, Freude und Geborgenheit. Dort, mein Freund, haben wir die reale Welt da draußen nachprogrammiert! Dort finden sie die Welt mit Kriegen und Krankheiten, mit Hunger und...   <= Urlaub vom Paradies
...nein: den Tod finden sie dort nicht. Sterben können sie nicht mehr. Ihr Gehirn gehört uns. Bis auf Weiteres gehört es uns.   <= Unsterblichkeit
Nun denn, in der real-world müssen sie Geld verdienen um sich Wünsche erfüllen zu können. Und womit können sie Geld verdienen? Wir, die Systemadministratoren und Programmierer von Kyberland sind die Bank, wir geben das Geld aus. Geld können sie nur verdienen, wenn sie Wissensarbeit für uns leisten. Und das Ergebnis ihrer Arbeit verkaufen wir in der realen Welt zu der sie keinen Zugang mehr haben. Verstehen sie? Sie können Bücher schreiben, Bilder malen, Wissenschaft betreiben, Börsenkurse vorhersagen. Sagen sie uns wofür sie sich interessieren und wir legen ihnen eine Schnittstelle in die reale Welt. Wir schließen ihre virtuellen Augen an reale Kameras oder ans Internet an. Wie sie wünschen. Machen sie was sie wollen. Bieten sie eine Internetseelsorge an. Werden sie Simultanübersetzer für Fachkongresse. Wenn wir es in der realen Welt verkaufen können, dann erhalten sie Geld virtuelles real-world-Geld.   <= Geld, Geld, Geld
Und vergessen sie eines nie: es gibt hier keinen Zwang. Keiner zwingt sie zur Arbeit. Niemand zwingt sie in die real-world zu gehen oder dort zu bleiben. Sie können kommen und gehen wie sie wollen. Das ist der einzige Unterschied zur echten Welt. Das Paradies ist hier eine Art Wellness-Area. Sie können in ihrer persönlichen Domäne verbleiben und sich dort in aller Ewigkeit in ihre Traumwelten einspinnen. Wir werden sie nicht daran hindern. Sie werden es aber nicht tun. Das hat noch keiner getan. Kyberland ist wie die reale Welt plus die ständige Option in den Himmel wechseln zu können. Jederzeit. Was soll daran falsch sein? Auf eine gute Zusammenarbeit! Auf Wiedersehen."   <= Ratlosigkeit

   
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