Der Modus Infantile
IP/EP-Nr.: 11.86/0388


   
Das Medium der nachfolgenden Aufzeichnung war ein 38-jähriger Schiffbauingenieur aus Emden.   <= Das Medium
Ostfriesland, das Herkunftsland des Mediums war besonders stark von der Epidemie der Wattmangrove betroffen...    
Unter dem Einfluss des antarktischen Staubes verfiel er zunächst in eine Art Trance. Er legte sich auf eine Couch, schloss die Augen und begann leise vor sich hin zu murmeln. Die Tonbandaufzeichnungen geben nichts weiter her als nebulösen Kauderwelsch. Dann, nach etwa 20 Minuten sprang der Proband auf. Er wedelte wie ein Politiker auf Wahlkampftournee mit den Fingern durch die Luft. Seine Mimik wurde lebhaft und der Oberkörper unterstrich jede Regung seines Gemüts.   Ein geheimnisvoller Staub induziert Halluzinationen in Computern und MenschenZur Hintergrund: Der antarktische Staub als psychoaktive Wissensvermittlung
Offensichtlich identifizierte sich der Mann mit einer Person mit dem Titel "Prof. Hans". Dieser Prof. Hans taucht auf verschiedene Weisen in vielen Aufzeichnungen auf, jedoch ist es bisher noch nicht gelungen, hieraus eine klare Persönlichkeit zu rekonstruieren. Hier nun die Aufzeichnung:   <= Prof. Hans
     
Ich möchte in Ruhe und mit klaren Worten zu euch sprechen. Hört nun, was ich, ich der große Prof. Hans, zu sagen haben. So sind meine Worte:   <= Prahlerei
Ein großer Erfolg war die gentechnisch induzierte Verlängerung des kindlichen Wahrnehmungsmodus. Diese Errungenschaft der späten prä-biotischen Ökonomie erhöhte nicht nur ungemein die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einzelner Menschen. Nein, sie erhöhte auch die Lebensfreude weiter Bevölkerungskreise.   <= Prä-biotische Ökonomie, weitere Beispiele: Biotronic Mining und andere Absurditäten der prä-biotischen Ökonomie
Man hatte sich schon lange gefragt warum Kinder denn so sehr viel einfacher lernen können als Erwachsene. Versuche diese Frage mit Hilfe der Theorie neuronaler Netze zu erklären führten ebenso wenig weiter wie klassische psychologische Theorien (die ohnehin überhaupt eher etwas über ihre Vertreter als über ihre Gegenstände aussagten).   <= Kindlicher Wahrnehmungsmodus
Eine Antwort kam wie so oft in der damaligen Zeit verzweifelter Rundumschläge von ganz unerwarteter Seite.   <= Aussenseiter als Held?
Ein 18-jähriger Schüler, Onno Ketzenga, aus Emden führte Eigenversuche mit allerlei Drogen an sich selbst durch. Inspiriert durch die Lektüre antiker Literaten wie Meister Eckehart, William James, Kim MacPershon, Henri Bergson, Rudolf Otto, Olaf Stapledon, Aldous Huxley, Takichi Tejoma, Margaret O`Leary oder auch Frank Lummerlund begann Ketzenga nach wissenschaftlicher Methodik verschiedenste Drogen unter kontrollierten Umständen an sich zu testen.   <= Ostfriesland und Literatur
Für die anwendungsfixierte Umwelt blieben seine im Terranet hinterlegten Erfahrungsberichte über lange Zeit hinweg uninteressant. Lediglich in den Kreisen zweifelhafter Bewusstseinserweiterer und Aussteiger genoss er einen gewissen von ihm nicht gewollten Ruf als Epikureer der besonderen Art.   <= Nichts Verwertbares
In der Beschreibung seiner Erlebnisse vermischte Ketzenga auf eindringliche Weise die Poetik der Mystiker mit der prosaischen Sachlichkeit seiner Zeit. Ketzenga beschrieb vor allem Gefühlszustände, der Philosoph an sich würde sagen die Qualia seiner Bewusstseinszustände. Und hier begannen führende Psychokraten seiner Zeit aufzuhorchen.   <= Der Stil Ketzengas
Durch die Einnahme reiner Drogen wie Kokain, Opium, Haschisch, Alkohl, XTC, Kaffee etc. erlebte Ketzenga nur längst Beschriebenes, was er auch selbst bald erkannte.   <= Klassische Drogen
Neuland erschloss Ketzenga erst, als er Drogen zu mischen begann. 30 Massenprozent Kokain, 0,5 Massenprozent LSD, 69,5 Massenprozent Haschisch und Spurenelemente des Wirkstoffes Trimäthylan-Chloriän-Pseuterase. Das ganze musste mit 0,5-Liter Bier der Marke Köchersbacher Fürstenpils getrunken werden, ansonsten gab es desaströse Resultate in jeder Hinsicht. Lesen wir nachfolgend, wie Ketzenga die Folgen selbst beschrieb:   <= Drogenmixturen

Hat Pseuterase etwas mit Pseuterie Liste seltsamer, esoterischer Buchtitel zu tun?

     
Das Feld meines Interesses schnurrte zusammen auf stets kleinere Dinge. Tunnelwahrnehmung eben. Ich nahm nur eines wahr. Nichts anderes, nur das Eine. Eins nach dem anderen, sequentiell und total. Ich dachte gerade noch an meinen nächsten Urlaub, da fesselte die vogelhafte Form einer schnell vorbeiziehenden Wolke ganz meine Aufmerksamkeit. Der Urlaub war schlagartig und vollständig vergessen.   <= Tunnelwahrnehmung
Ein weiteres Ergebnis des neuen Mixes war die fast vollständige Kopplung meines Wahrnehmungsfeldes an kurzfristig orientierte Willen. Alles war von "Wille an sich" durchwirkt, es fehlte der Aspekt der reinen Kontemplation. Die Vogelwolke weckte in mir sofort den Willen, einen Vogel in einem Käfig zu besitzen. Da gab es doch die Wellensittiche im Schaufenster vom Zoo-Hubertus in der Delftgasse. Dann hatte ich Hunger. Sofort war wieder der Vogel vergessen und ich nahm voll und ganz das Werbeschild einer nahen Gaststätte wahr. "Schnitzel mit Pommes und gemischtem Salat" füllte jetzt zu 100 % mein Bewusstsein aus. So ging es im 20-Sekunden-Takt weiter.   <= Autarke Willensfragmente (willets)
Auch eine gewisse Mystifizierung meiner gesamten Wahrnehmung schien eine Eigenart des Mixes zu sein. Alles wirkte auf eine selbstvertändliche Weise geheimnisvoll, umwoben von Erwartungen und Sehnsüchten. Die Dinge selbst strahlten den Reiz des Unentdeckten aus. Der grüne Schimmer eines Glases schien in sich ein Geheimnis zu verbergen, das entdeckt werden wollte. Für 20 Sekunden.   <= Mystifizierung der Wahrnehmung
Und in der Welt meiner Mitmenschen? Dort tat sich der größte Wandel in meiner Wahrnehmung auf. Ich musste mit einem Bus fahren und dabei fiel mir der Wandel zum ersten Mal auf. Normalerweise war ein Busfahrer für mich ein Mensch der unter den Sachzwängen seines Dienstes versuchte sein Gehalt zu verdienen. Der Busfahrer war jemand dem man sagte was er zu tun habe und der es dann auch tat. Unter dem Einfluss der Droge änderte sich diese Wahrnehmung radikal. Unter dem Einfluss der Droge war der Busfahrer für mich auf einmal Teil der Busgesellschaft - der Stadt - des Systems - der Menschheit - von "denen" die da alles wissen und alles richtig tun und zu denen ich auch gehören will - muss - soll - vielleicht auch darf. Der Busfahrer war eine Verkörperung dessen was man gemeinhin als "die" oder "man" bezeichnet: die volonté génénerale per se. "Die sollten einmal die Steuern gerecht bemessen", "die machen eh was sie wollen und fragen uns nie". Aber auch "gegen die kann man eh nichts machen, "die haben eh immer Recht". Diese "die", die mir jetzt durch den Busfahrer gegenüberstanden, waren die ganze restliche Welt. Und diese Welt war auf mysteriöse Weise in einem gemeinsamen Willen miteinader verbunden. Der Busfahrer, die Polizei, Astronauten, die CIA und mein Boss - sie alle arbeiteten gemeinsam an einer Sache von der ich bloß noch nichts ahnte. Alle Menschen waren sich einig in der Verfolgung ihrer Ziele. Die Gesichtsausdrücke der Menschen in Kinderbüchern oder Gemälden des sozialistischen Realismus drücken genau das aus. Sich gegen den Busfahrer aufzulehnen um ein Eis im Bus essen zu dürfen hieße, den vereinten Gemeinsinn der anständigen Menschheit herauszufordern.   <= Volonté générale
In merkwürdigem Widerspruch dazu stand das unmittelbare Gefühl einer selbstverständlichen Nähe zu allen Menschen. Es fehlt das Gefühl der Distanz. Ein "Du" musste ich gewaltsam unterdrücken. Gehörte ich zu dem Körper des kollektiven Willens?   <= "per Du" als Selbstverständlichkeit
Die Wirkung des Drogencocktails hielt mehrere Stunden an und das gab mir Gelegenheit noch eine andere Wirkung zu erkennen. Obwohl ich meine soziale Umwelt als einen monolithischen Block vereinbarter Zielverfolgung ansah, überfiel mich hin und wieder ein mephistophelischer Drang trotzig aufzubegeheren. In einem Buchladen machte ich eine Szene, weil ein bestelltes und längst überfälliges Buch noch nicht eingetroffen war. Auf der Strasse rempelte ich eine alte Frau an die mehr Platz vom Bürgersteig beanspruchte als ich ihr zugestand. Besonders pikant war es, als ich gegenüber meiner Schwester, ohne Anlass, darauf zu beharren begann, dass ein bestimmter Silberleuchter meiner Eltern in meinen Erbteil fallen müsse. Sehr viel eigentümlicher als diese jähen Ausbrüche des Troztens gegen die Welt war aber wie ich mich selbst dabei empfand. Es schien mir nicht so wichtig zu sein, meinen eigenen Kopf durchzusetzen als vielmehr die Reaktionen meiner Umwelt zu studieren. Wenn ich auch äußerlich alle Anzeichen rasender Wut entwickelen mochte, so glühte in mir vor allem die Neugier um die Wirkung dieser Wut auf meine Mitmenschen. Einen inneren Stolz empfand ich sogar dann, als die Menschen sich so verhielten wie ich es vorausgeahnt hatte. Egal war dabei, ob sie sich mir dabei erfolgreich widersetzen oder meinem Zorn klein beigaben.   <= Akteur als Beobachter, Selbstdistanzierung
Der Wirkungskomplex der Mischung lässt sich also charakterisieren als:
  • tunnelartige Fokussierung des Interesses
  • schnell getaktete Aufmerksamkeitswechsel
  • strikt sequentielle Aufmerksamkeit
  • Mystifizierung der Wahrnehmung
  • Mitmenschen als monolitischer Willen
  • Provokative soziale Neugier
  <= Fazit
     
Hier endet die Aufzeichnung Ketzengas. Dem Leser mit wacher Erinnerung an die innere Erlebniswelt seiner Kindheit dürfte kaum entgangen sein, dass hier zum überwiegenden Teil typisch kindliche Wahrnehmungsmodii beschrieben sind.   <= Ende von Ketzengas Aufzeichnung
23 Jahre nachdem Ketzenga seine Schilderung im Terranet veröffentlich hatte (als Qualiastrip) wurde durch einen Fehler im Assoziations-Engine eines Info-Teggels der Doktorand Ladislaus Puce aus Krakau auf die Strips Ketzengas aufmerksam. Puce arbeitete an eben jener Frage, warum Kinder so sehr viel einfacher lernen als Erwachsene. Er engagierte kurzerhand 10 Mitglieder der Krakauer Boheme und überredete sie zu einem 3-wöchigen Feldversuch. Er, Puce, würde ihnen jeden Tag eine geeignete Dosis des Drogenmixes (inklusive Bier) spendieren. Dazu gäbe es jeden Tag 145 Globos Taschengeld. Im Gegenzug sollten die Probanden einen 3-wöchigen Instensivkurs in Walisisch absolvieren. Abends mussten sie in ihren Kneipen walisische Volksmusik (Stil: Tafodau Tân) über sich ergehen lassen und während der Nacht hatten sie leise Tonaufnahmen aus walisischen Soap Operas zu dulden. Eine 10-köpfige Kontrollgruppe ohne Drogen und Fürsten Pils sollte die geforderte wissenschaftliche Belastbarkeit des Versuches absichern.   <= Ladislaus Puce aus Krakau: anwendungsorientierter Forscher: Felderversuch Walisisch-Kurs
Der Erfolg war phänomenal. Die Mitglieder der Drogengruppe sprachen nach 3 Wochen durchaus akzeptabel Walisisch. Alle Mitglieder bekannten einhellig "great fun" gehabt zu haben. Die Kontrollgruppe hingegen zeigte nur mittelmäßige Resultate, war gereizt und genervt von dem ständigen Gequatsche und Gedudel der welschen Sprache.   <= Durchschlagender Erfolg
Puce erkannte sofort das wirtschaftliche Potenzial seiner Ergebnisse. Er stellte zunächst sicher, dass Ketzenga keinerlei Patent- oder sonstigen Rechte geltend machen könne. Puce gründete eine eigene Firma und gewann Konzerne der Bereiche Bildung, Gentechnik und Humandesign GLifeX: ein Konzern der Zukunft umfasst die gesamten Belange menschlichen Lebens... für seine Sache. Parallel knüpfte er Kontakte zum Eurasia-Militär.   <= Wirtschaftliche Umsetzung
Nach weiteren 8 Jahren F. u. E. war das Endprodukt fertig. Eine komplexe Modifikation verschiedener Gene auf verschiedenen menschlichen Chromosomen bewirkte einen Effekt den man als quasi-self-induced-learning-booster (qsilb, sprich: ksilb) bezeichnete:   <= Das Endprodukt: Modifizierte Gene
Der Wunsch oder Zwang eines Menschen etwas Neues zu lernen wird über das synchrone Feuern bestimmter Neuronen der Amygdala erkannt. Diese Neuronen werden nun derart mit der gentechnisch optimierten Hypophyse verknüpft dass diese auf ein entsprechendes Signal hin den Drogenmix im Gehirn ausschüttet. Die Dosis ist proportional der Dauer der Erregung. Mit einfachen Meditationstechniken gelang es den ersten so optimierten Menschen mehr oder minder willentlich in den Kindheitsmodus der Wahrnehmung umzuschalten.   <= Gentechnisch optimiertes Gehirn
Man sprach von einer Technik des Gene-Embedded Psycho-Design. Es war den Forschern sogar gelungen, synthetisches Fürstenpils im Gehirn zu erzeugen!   <= Gene-Embedded Psycho-Design
Man braucht wenig Phantasie um sich den Missbrauch dieser genialen Technik vorzustellen der bald getrieben wurde. Manche Sitzung führender Manager und Soziokratoren fielen binnen Minuten auf das kommunikative Niveau einer Krabbelgruppe und Busfahrer, Eisverkäufer, Großeltern sowie Hochschuldozenten wurden von ihrer Umwelt immer mehr wegen Lappalien zur Weißglut gebracht. Dennoch: Im Groß und Ganzen vollbrachte die breite Anwendung der neuen Menschen eine nachhaltige Bereicherung des kulturellen und ökonomischen Lebens. Die Maßnahme "rechnete sich".   <= Skurrile Folgen
Im wundervollen Buch der Menschwerdung wurde ein neues Kapitel aufgeschlagen. Der Effekt der Neotenie wurde nun nicht alleine auf körperliche Merkmale angewendet. Nun übertrug der Mensch dieses Prinzip auch auf seine Psyche und setzte so seinen Weg in die Sackgasse der soziointegrativen Degeneration Autarke Wesen verschmelzen zu amorphen Soziastrukturen: sociointegrational degeneration zielstrebig fort.   <= Neotenie und soziointegrative Degeneration
     
Hier endet die Aufzeichnung des Schiffbauingenieurs aus Emden. Dass bisher kein oder nur wenig Sinn in das Ganze hineininterpretiert werden konnte erklärt sich wohl von selbst.   <= Ende der Aufzeichnung des Schiffbauingenieurs

   
Prof. Hans: eine Phantasie
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