Die Ideale der Humanisten:
können sie rational sein?

 

Erasmus von Rotterdam, nach einem Bild von Dürer, ein niederländischer Humanist des 16. Jahrhunderts

Diese Seite handelt von der Schwierigkeit, humanistische Ideale unter der Wahrung rationalen Handelns zu erfüllen. Kann es sein, dass zwar Rationalität in einer isolierten Betrachtung Sinn ergibt genauso wie auch die Ideale des Humanismus in einer isolierten Betrachtung Sinn ergeben, dennoch der Versuch, beide Gedanken zu verbinden scheitert wie der Versuch die beiden Bauteile unten zu einem logischen Ganzen zu verbinden:

Die Bauteile an sich sind richtig, dennoch passt das Ganze nicht zusammen!

 
Thomas Morus, ein herausragender englischer Humanist des frühen 16. Jahrhunderts

1

Beginnen wir zuerst mit der einfachen Feststellung, dass Rationalität eine wesentliche Eigenschaft humanistischen Handelns sein sollte. Rationalität ist für mich identisch mit der Akzeptanz einer objektiv-formalen Logik. Die Mathematik ist in diesem Sinnne die ideale Verkörperung des reinen Rationalitätsbegriffes. Mathematische Regeln scheinen unabhängig von Menschen und den materiellen Eigenschaften der Welt zu gelten. Das Doppelte von zwei ist immer vier. Dies zu leugnen wäre irrational. Wenn die Naturwissenschaften nun immer mehr Abläufe in unserer Welt durch mathematisch verankerte Formeln beschreiben können, dann werden auch immer mehr solcher Abläufe rational erfassbar: ein Stein im freien Wasser wird nach unten sinken und nicht nach oben steigen. Etwas anderes zu behaupten wäre irrational. Wir können also festhalten, dass viele Abläufe in der realen Welt nach rational fassbaren Gesetzmäßigkeiten ablaufen. Jede Wirkung hat eine bestimmte Ursache und dazwischen liegen logische nachvollziehbare rationale Mechanismen.

 

Viele Aspekte der Welt sind rational beschreibbar.

2

Alle Beschreibungen von Humanismus beinhalten die Erreichung bestimmter Ziele. Es ist nun ganz gleich, ob diese Ziele in der Erzielung eines maximalen Glückes für möglichst viele Menschen bestehen oder etwa in der Vermehrung von Wissen. Auf das konkrete Ziel kommt es nicht an. Worauf es ankommt ist die Tatsache, dass Ziele des Humanismus als Wirkung von Ursachen aufgefasst werden können. Und um diese Wirkungen zu erreichen gibt es es objektiv-rational nachvollziebare Schritte die dazu eingeleitetet werden müssen. Wenn man in der Meinung über die notwendigen Schritte voneinander abweicht, dann kann die Berechtigung dafür nur in unterschiedlichem Wissen über den momentanen Zustand und die gültigen Wirkmechanismen (=Naturgesetze) bestehen. Zwei Humanisten die das gleiche Ziel verfolgen und den absolut gleichen Kenntnisstand über die Welt haben dürften demnach in ihrem Handeln nicht voneinander abweichen. Dies gilt selbst dann, wenn der materiellen Welt ein Aspekt des zufälligen anhaften sollte, wie es etwa durch die Befunde der Quantenphysik nahegelegt wird. Denn selbst mit dem Zufall lässt sich rational umgehen, nämlich im Sinne statistischer Wahrscheinlichkeitsaussagen. Insofern entbindet ein möglicher Indeterminismus in physikalischen Abläufen alleine noch nicht von der Gültigkeit der Aussage, dass Humanisten bei gleichen Zielen und gleichem Kenntnisstand auch gleich handeln würden.

 

Humanisten mit gleicher Zielsetzung handeln bei gleichem Wissensstand immer gleich.

3

Es dürfte nicht schwer fallen einzusehen, dass alleine das bisher Gesagte zur Aufgabe eines naiven Konzeptes von Individualität zwingt. Denn was soll Individualität in einer rational erfassbaren Welt denn sein? Wie individuell wären wir, wenn man uns bloß das gleiche Wissen zuteil kommen lassen müsste, dass wir gleich handeln würden? Ich setzte hierbei voraus, dass die bloße Einzigartigkeit der atomaren Anordnung unserer Körper oder der raumzeitliche Erscheinungen unserer Personen alleine noch nicht ausreichend für einen befriedigenden Individualitätsbegriff ist.

 

Verzicht auf den Begriff der Individualität?

4

An dieser Stelle sollte man innehalten und sich noch einmal vergegenwärtigen, dass Rationalität an sich in einem Widerspruch zu wahrer Individualität zu stehen scheint. Dieser Widerspruch ist stärker als die Aussage, dass es in einer vollständig determinierten Welt keinen freien Willen geben kann. Denn das Diktat der Rationalität im Sinne eines absoluten Imperativ lässt echten Zufall zu und würde dennoch alle rational handelnden Akteure zu gleichen Aktionen zwingen. Ein freier Wille ergäbe so keinen Sinn, trotzdem es vielleicht einen echten Zufall in der Welt geben könnte.

 

Verzicht auf einen freien Willen

"Eine Religion, die durch und durch wissenschaftlich erkannt werden soll, ist am Ende dieses Weges zugleich vernichtet." Nietzsche in: "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben", geschrieben um das Jahr 1873

5

Unter diesem Aspekt verliert so manche erstrebenswerte Tugend ihren Sinn. Was soll Toleranz noch sein? Zwei Gedankenschritte gedacht und die Vorstellung von Toleranz führt geradewegs in das Spinnennetz rationaler Gefühlskälte.

 

Der Verlust der Toleranz

6

Eine grenzenlose Toleranz kann es nicht geben. Wie tolerant sollte man gegenüber der Intoleranz sein? Sollte ein Jugendamt tolerant sein gegenüber einem Vater der seine Kinder misshandelt? Sollte ein Staat tolerant sein gegenüber einem anderen Staat der Minderheiten unterdrückt? Sollte ein Demokrat tolerant sein gegenüber einem Wahlergebnis welches einem selbsterklärten Antidemokraten an die Macht verhilft?

   

7

Jede Antwort auf eine dieser Fragen wird zur Festlegung bestimmter gemeinsamer Werte führen. Hat man sich aber auf gemeinsame Werte - sprich Ziele im Sinne von erstrebenswerten Wirkungen - geeinigt, dann ist alles andere nur eine Frage der Rationalität und es gibt nach dem oben gesagten keinen Platz für Individualität.

   

8

Einigt man sich aber zur Errettung der Toleranz nicht auf gemeinsame Ziele, so verkümmert der Toleranzbegriff zu dem sinnlosen Prinzip, dass sich jeder selbst der nächste ist und das Gesetz des Stärkeren gelten möge.

   

9

Das Buch "Schöne Neue Welt" von Aldous Huxley verkörpert genau diesen Widerspruch. Huxley beschreibt eine Welt, in der sich eine zukünftige Gesellschaft auf die Erreichung von möglichst viel Glück für möglichst viele Menschen in einer möglichst stabilen Welt geeinigt hat. Dieses Ziel setzt sie mit strikter Rationalität um und erreicht es auch. Was auf der Strecke bleibt ist einzig und alleine die Illusion der Individualiät. In Huxley`s Roman handeln alle Menschen auf objektiv nachvollziehbare Weise. Was an dem Buch betroffen macht ist unsere Hilflosigkeit, es konstruktiv zu kritisieren.

 

Die "
Schöne Neue Welt" von Aldous Huxley

10

Wie denn ist die Vision angreifbar? Was macht sie zu einer Schreckensvision obwohl das größtmögliche Glück für die größtmögliche Anzahl von Menschen erreicht wurde und wie könnte der Entwurf einer besseren Gesellschaft aussehen? Wie könnte eine Gesellschaft aussehen, wie könnte ein Individuum beschaffen sein, welches gleichermaßen rational handelt und dabei das Attribut "individuell" verdient?

   

11

Ich persönlich bin der Hoffnung, dass die Lösung in der Beschränktheit unser Logik liegt. Hoimar von Ditfurth schreibt, dass ein niederes wirbelloses Tier seine Welt als genauso vollständig und abgeschlossen empfinden könnte wie wir Menschen es tun. Das lässt die Möglichkeit offen, dass auch wir Menschen nur einen klitzekleinen Teilaspekt der Welt erfahren und erdenken können. Und tatsächlich hinterfragen viele anerkannte Philosophen die Allgemeingültigkeit unserer Vernunft. Gödel und Wittgenstein wollen die Begrenztheit formaler Logiken bewiesen haben. Platon verweist in seinen Schriften immer wieder auf irrationale Elemente und der amerikanische Psychologe William James sieht in einzelnen Bewußtseinszuständen etwas Holistisches das sich nicht weiter rational zerlegen lässt in sinnvolle Einzelbestandteile.

 

Platon postuliert ein Element des Irrationalen in seiner IdeenlehreSeminararbeit über das Irrationale in Platons Ideenlehre und der Quantenphysik, 2001

12

Und nicht zuletzt die Unsinnigkeit einer Vorstellung von Unendlichkeit narrt nicht nur Kinder, sondern auch Erwachsene können sich weder einen unendlich ausgedehnten Raum vorstellen, noch können sie sich einen beschränkten Raum vorstellen. Und eine Alternative können sie sich auch nicht vorstellen. Wenn aber der Begriff des Raumes genauso wie die Vorstellung von Zeit trotz dieses fundamentalen Mangels ein zentraler Bestandteil unserer Denkens ist, wie weit ist es dann mit der Korrektheit unseres Denkens her?

   

13

Ich postuliere also - mehr aus Hoffnung denn aus Wissen - dass die menschliche Vernunft einfach noch zu beschränkt ist um die Widersprüche aufzulösen, die Begriffe Individualität, freien Willen und Rationalität voneinander abtrennen. In unserem Denken steckt ein verborgener Fehler, den es zu finden gilt.


 

Grundlegende Denkfehler vereiteln praktisch befriedigende ErgebnisseDas Gleichnis von den zwei Schächten

Zenon, Gottes Allmacht, das Nichts, Demokratie, Drängeln am Bahnhof...Eine Liste weiterer vermeintlicher oder echter Paradoxien

Zuletzt bearbeitet: Oktober 2001

Eine Ebene höher
Zwei Ebenen höher