Chronik einer Endomorphose, 07. Januar 2001

Vorwärts - warum eigentlich nicht?

Das Gefährliche an der Gentechnik ist, daß wir uns ihre Gefahren nicht klarmachen.

Die Januar Ausgabe des SPD-Parteiblattes "Vorwärts", Regionalausgabe Nordrhein-Westfalen, widmet 6 von insgesamt 44 Seiten im DIN A3 Format Themen rund um die Gentechnik. Auf der Titelseite sieht man einen etwa sechsjähirgen Jungen der mit philosophischem Blick in die Ferne sieht. Im Hintergrund steht das große Modell einer Doppelhelix, Symbol der Gentechnik. Das Titelthema lautet:

Der Schlüssel zum Leben
Neue Hoffnung durch Gentechnik.
zum Leben

Anders als dieser Titel vermuten läßt, versuchen die Beiträge in dem Heft ein ausgewogen kritisches Bild von dieser neuen Technologie zu vermitteln. Dies aber gelingt ihnen nur mangelhaft. Denn den wiederholt und detailliert beschriebenen Vorteilen der Gentechnik werden bloß vage angedeutete Befürchtungen hinsichtlich ethischer Probleme gegenübergestellt. Einige Beispiele sollen dies verdeutlichen:

Auf Seite 4 wird in dem Artikel "Gentechnik hilft den Menschen" über ein Ehepaar berichtet, welches ein Kind mit der unheilbaren aber nicht tödlichen Krankheit Mukoviszidose hat. Das Ehepaar ließ ein zweites Kind während der Schwangerschaft auf das inzwischen bekannte Gen für die Krankheit testen. Glücklicherweise war das Ergebnis, daß das zweite Kind nicht unter der Krankheit leiden würde. Der Vater sei froh darüber gewesen, daß er nicht über Leben und Tod im Zusammenhang mit einer Abtreibung hat entscheiden müssen. Er betont ausdrücklich, daß er große Hoffnungen in die Gentechnik setze. Der Artikel ist in seinem Tenor sehr positiv. Es werden keine grundsätzlichen Bedenken geäußert und solange man im Einzelfall nicht über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden muß, treten ja auch keine Probleme auf.

Auf Seite 5 steht ein Artikel mit dem Titel "Die Revolution hat begonnen". In eine euphorisch klingende Aufzählung konkreter Vorteile der Gentechnik sind einige wenige orakelhafte Bedenken eingestreut. So wird der Artikel zwar mit einem Verweis auf die griechische Sage um die Büchse der Pandora eingeleitet, aber darauf folgt nicht eine Beschreibung des Übels aus der Büchse sondern das Gegenteil ist der Fall: Unter Berufung auf Professor Hans Lehrach vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik in Berlin wird nur der Nutzen betont: Man werde die genetischen Ursachen von Krankheiten erkennen, man werde wissen, was genetisch und was durch Umwelteinflüsse bedingt ist, man wird Krebs, Alzheimer, Herz-, Kreislauf- und Infektionskrankheiten besser vorbeugen können, man wird wissen, warum manche Medikamente bei einem Patienten positiv wirken, bei einem anderen aber zu schweren Nebenwirkungen führen. Lehrach wird zitiert, daß sich unser Leben in 10 bis 20 Jahren massiv zum Positiven gewandelt haben wird. Die Frage von Kritikern, ob man denn das alles wissen dürfe wird als "sehr hypothetisch" bezeichnet, da man ja noch weit davon entfernt sei, alles zu wissen. Der Artikel schließt mit einem Aufruf des gegenwärtigen Bundeskanzlers Gerhard Schröders, in einer breiten gesellschaftspolitischen Debatte über Hoffnungen und Ängste, wirtschaftliche Erwartungen und ethisch gebotene Grenzen zu reden.

Auf den Seiten 8 und 10 wird die Problematik der Präimplantationsdiagnostik (PID) behandelt. Zur Einführung in die Thematik wird anhand der stets tödlich verlaufenden und immer sicher ausbrechenden Erbkrankheit Chorea Huntington ein gesetzliches Paradoxon vorgestellt: So ist es Ehepaaren zwar erlaubt, Föten eines festgelegten Höchstalters mit sicher diagnostizierter Krankheit abtreiben zu lassen. Es ist aber aufgrund des Embryonenschutzgesetzes verboten, gezielt mehrere Eizellen zu befruchten, um nachher nur die Gesunde in die Gebärmutter einzupflanen. So muß ein Ehepaar mit bekannten, defekten Genen das sich für ein Kind entscheidet eine Schwangerschaft herbeiführen und darf dann gegebenfalls den Embryo abtreiben. Das Ehepaar darf aber nicht vorher mehrere Eizellen befruchten lassen und nur das Gesunde wählen.

In einem Interview werden Frau Regine Kollek, Vorsitzende des Ethikbeirates der Bundesgesundheitsministerin, einige Fragen zu dieser Thematik gestellt. Die Antworten sind ein weiteres Beispiel für die Unfähigkeit, die Gefahren der Gentechnik zu präzisieren. Die Krux der Diskussion ist das kategorische Verbot einer Erzeugung von Embryonen und einer späteren Tötung der vier- bis achtzelligen Wesen. Die Begründung hierfür sei nach Frau Kollek "in der Tat nicht einfach zu vermitteln". Sie tut es denn auch nicht. Sie führt weiter aus, daß "auch die Anfangsstadien menschlichen Lebens von uns Respekt verlangen". Das Interview wird beendet mit dem Hinweis, daß eine Erlaubnis der Präimplantationsdiagnostik "das Tor zur ethisch problematischen Embryonenforschung" öffnen würde. Was aber ethisch bedenklich ist wird in dem Artikel genausowenig veranschaulicht wie das besonders Schützenswerte an einem vierzelligen menschlichen Embryo.

Auf Seite 10 äußert sich die SPD Bundestagsabgeordnete Carola Reimann für die Abschaffung eines Verbotes der PID. Es sei einer Frau ganz einfach nicht zuzumuten, einen Schwangerschaftsabbruch zu riskieren, wenn mittels PID ein sicher gesundes Kind erzeugt werden könne. Reimann spricht sich wohl für die präzise Nennung von Krankheiten aus, für die PID erlaubt sein soll. Als einzig denkbaren Mißbrauch nennt sie die Züchtung von Designerbabies, ohne daß sie aber klar macht, was an Designerbabies ethisch verwerflich sein soll.

Ebenfalls auf Seite 10 äußert sich Wolfgang van den Daele, Direktor des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung. Er sagt, man müsse PID geradezu forcieren, um mögliche Mißbräuche frühzeitig erkennen und bekämpfen zu können. Auch van den Daele möchte PID auf klar definierte Krankheiten begrenzen und lehnt eine vorgeburtliche Selektion für beliebige Zwecke ab, ohne daß er das eigentlich Verwerfliche daran nennt.

Auch auf Seite 10 gibt Frau Herta Däubler-Gmelin, Bundesjustizminsterin, ein Interview mit dem Titel "Klare ethische Grenzen" über die Biopatentrichtlinie der Europäischen Union. Sie vertritt die These, daß die eingeschränkte Patenfähigkeit von Genomen in Europa der richtige Weg sei. Der Ansatz, ethisch klare Grenzen umzusetzen sei auch langfristig haltbar. Däubler-Gmelin erwähnt keine Beispiele, wie eine Verletzung ethischer Belange aussehen könnte.

Auf Seite 11 wird ein Gespräch mit Frau Margot Renesse, Vorsitzende der Enquete-Kommission "Recht und Ethik in der modernen Medizin" wiedergegeben. Frau Renesse sagt klar, daß eine "Wehret-den-Anfängen-Einstellung die eine neue Technik nur vom Missbrauch her diskutiert, mit ihr nicht zu machen sei". Im weiteren Verlauf des Artikels werden dann dem üblichen Schema folgend keinerlei Missbräuche genannt sondern wieder drei konkrete Vorteile einer angewandten Gentechnik, nämlich die Behandlung von Parkinson-, Alzheimer- und Schlaganfall Patienten.

Wenn aber die Bedenkenträger gegen die neue Technologie nicht mehr als emotional wirkende Begriffe wie "Ethik" und "Embryonenselektion" ins Feld führen können, derweil die vielfach benannten Vorteile aber greifbar sind, solange wird sich die Gentechnik immer neue Anwendungsfelder erschließen und Gesetze zum Ziele einer Einschränkung werden immer weiter aufgeweicht.

Aber vielleicht spiegelt die Unfähigkeit der Bedenkträger zu einer Konkretisierung ihrer Ängste bloß wider, daß es keine echten Gefahren gibt.

Denn was wäre an einem gezielten Embryonendesign letztendlich ethisch verwerflich? Welches ethische Gebot spräche gegen die Züchtung von Bergleuten, die sich - genetisch fest programmiert - tief unter der Erde bei Staub und Lärm wohlfühlen und dabei bis ins hohe Alter gesund bleiben? Welches ethische Gebot spräche gegen die Klonung von Soldaten, die - gentechnisch bedingt - keinerlei Wunsch zu einer Familiengründung oder sonstigen menschlichen Bindungen verspüren und im Todesfall auch keine trauernden Verwandten hinterlassen würden? Und welches ethische Gebot spräche generell gegen die Kreation von Menschen mit genetisch vorprogrammierten Berufen und gleichzeitig genetisch einprogrammierter Zufriedenheit?

Das Buch "Schöne Neue Welt" von Aldous Huxley hat genau dieses Problem als zentrales Thema. Man liest seitenweise über eine zukünftige Welt, in der alle Menschen auf ihre zukünftige sozialen Aufgaben hin gezüchtet werden und so konditioniert sind, daß sie vollkommen glücklich dabei sind und gar nichts anderes wollen. Mit jeder Seite des Buches steigert sich die Abneigung gegen diese Welt, doch es ist mir bisher noch nicht gelungen, diese Abneigung begrifflich zu fassen.

Solange dies aber nicht geglückt ist, wird das Anwendungsgebiet der Gentechnik mit Hilfe stets konkret bennenbarer Vorteile weiter wachsen und der Mensch wird sich schon bald zu verformen beginnen.

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