Der Turm des Wissens
IP/EP-Nr.: 11.91/4394
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Bis heute ist es noch nicht
gelungen, die vielen Erzählungen und Computeranimationen
die infolge einer Einwirkung des antarktischen Staubes
entstanden sind zu einem sinnvollen Ganzen
zusammenzufügen. Daran sind unter anderem Schilderungen
wie die folgende Schuld. |
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Zur Hintergrund:
Der antarktische Staub als psychoaktive
Wissensvermittlung: die Memoiren des Prof. Hans |
Die Erzählung entstand ohne
jegliches menschliches Zutun. Ein herkömmlicher Computer
der ZX8100er-Reihe wurde im Inselbetrieb neben etwa 4
Mikrogramm des Staubes platziert. |
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<= Compter als Erzähler |
Nach 4 Tagen stellten sich
auf dem Monitor Bilder von Schwimmbädern ein wie sie
wohl im 20. Jahrhundert gebaut wurden. Man sah bläulich
gefärbte Sprungtürme, Sprungbretter, Wasseroberflächen
von unten, Liegewiesen, große Abfallkörbe mit Horden
von Wespen, Duschköpfe, rote Umkleidespinde, metallene
Drehkreuze, Eintrittskartenautomaten, gekachelte Gänge
und derlei mehr. |
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<= Schwimmbäder |
Die Ansichten flossen auf
verschiedenste Weisen ineinander über. Mal war es eine
Art langsame Überblendtechnik, dann folgten schnelle
Bilderflahses aufeinander. Hin und wieder schien einfach
die Aufnahmekamera gemächlich durch das Gelände zu
streifen und verspielt mit der Zoom-Einstellung zu
experimentieren. Menschen waren nur als schemenhafte
Schatten zu erkennen. Sie huschten oder schwebten durch
die Bilder und waren meist durchsichtig. |
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<= Bilderwechsel |
Dann, am 5. Tag, begann die
Texttransmission. Über die weiter im Hintergrund
ablaufende Bilddarstellung blendeten sich statische
Textfragmente. Nach einer Stunde begann sich die
Übertragung zu wiederholen, sodass man davon ausgehen
kann, dass der Text eine in sich geschlossene Ganzheit
darstellt. Nachfolgend aufgezeichnet ist das wesentliche
Kondensat: |
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<= Textübertragung |
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Glauben sie mir, ich war am
Ende. Ich stand ganz am Ende des Sprungbrettes. Ein
Kilometer unter mir erblickte ich in hellblauem
Glitzer-Schimmer das kleine Schwimmbecken welches zu
treffen oder zu verfehlen gleichermaßen mein Schicksal
sein sollte. |
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<= Beginn der Erzählung |
Der Sprungturm war rundum
mit blauen Kacheln verkleidet. Ich sah zurück, das lange
Sprungbrett entlang, und blickte in die architektonische
Monstrosität eines zweiten Turmes zu Babel. Der Turm war
ein Kilometer hoch und ich befand mich fast ganz oben.
Der Turm schien sich aus einem undurchdringlichen Gewirr
von Treppen, Balkonen, fensterlosen Öffnungen,
Geländern und so weiter zusammenzusetzen. Er hätte von
Insekten gebaut sein können und erinnerte in seiner
Sinnlosigkeit an manche Zeichnungen von Escher. |
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<= Der Turm |
Überall in dem Turm waren
Menschen zu sehen. Unter ihnen befanden sich auch einige
Wächter mit Lanzen. Eine Flucht war somit zwecklos. Mein
einziger Fluchtweg war nur der Sprung in die Tiefe. |
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<= Auswegslosigkeit |
Ich weiss nicht mehr, warum
man mich verurteilt hatte, aber ich spürte all die
Blicke der Verachtung die auf mir lasteten. Selbst die
kleinen menschlichen Punkte in der Tiefe schienen mich
mit Verachtung und Hass anzugucken. Ich war mir keiner
Schuld bewusst. |
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<= Schuldlosigkeit |
Ich blickte in die Tiefe. Es
gab nur zwei Möglichkeiten: Ich könnte mich wie ein
Igel zusammenkugeln und so den Sturz möglichst senkrecht
erfolgen lassen. Das würde meine Chancen das
Wasserbecken zu treffen vielleicht erhöhen. Es war ein
windstiller Tag. Es würde aber auch meine
Aufprallgeschwindigkeit erhöhen. Alternativ könnte ich
versuche, mich flach in die Luft zu legen, wie ein
Fallschirmspringer im Formationsflug. Das würde meine
Aufprallgeschwindigkeit auf vielleicht 200 km/h begrenzen
und böte mir eine Überlebenschance. In dieser Lage
wäre aber jedes Kopfverdrehen, jeder Handwink
gleichbedeutend mit einer Horizontalbewegung von Metern.
Ich überlegte, wie ich navigieren müsste und sah mich
mit meinem geistigen Auge schon im letzten Moment das
Becken knapp verfehlen. |
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<= Entweder Oder |
Ich empfand pure Angst,
Einsamkeit, Isolation. Warum hassten mich die vielen
Zuschauer? Warum wollten sie sich an meinem Todessprung
erfreuen? Ich blickte tief in mich und sah dort keine
Boshaftigkeit. Mein Herz war rein und die Erinnerung frei
von jeglicher besonderer Schuld. |
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<= Isolation |
Es geschah das Unfassbare.
Weit hinter mir hörte ich die bekannte Stimme meines
Sohnes. Er war noch ein Kind und lief mit frohem Gesicht
ein naheliegendes Sprungbrett entlang. Er wolle einfach
einmal springen, sagte er. Ich war starr vor Angst. Da
kam mir die Erkenntnis: wenn er springt und stirbt, bist
du erlöst. Wenn er stirbt, dann darfst du die Treppen
hinunterlaufen. Ein Kilometer in die Tiefe, vorbei an
tausenden Gesichtern. Gesichter die nur darauf warteten,
dass sie mich in den Kreis ihresgleichen aufnehmen
dürften. Ich blickte meinem Sohn in die Augen. Er
zwinkerte mir lachend zu und sprang hinab in die Tiefe.
Ich blickte fassungslos geschockt über meine Starre
hinter ihm her. Er traf das Becken. Ich sah den kleinen
weissen Flecken tief unter mir. |
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<= Die Versuchung |
Sofort darauf stand er
wieder neben mir. "Das war Klasse" sagte er.
Ich wusste, dass es Zufall war. Beim nächtsen Mal würde
er das Becken verfehlen. Ich hätte zu ihm
hinüberspringen können. Ich tat es nicht. Wenn er
springt und stirbt, dann würden sich die hasserfüllten
Blicke der Menge um mich herum von mir abwenden. Er
sollte springen. Sollte er doch springen. |
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<= Zweite Versuchung |
Er sprang. Diesmal legte er
sich flach in die Luft und begann sofort darauf wie ein
Blatt im Wind in weiten Zügen hin und her durch die Luft
zu pendeln. Mit jedem Zug aber verlor er nicht an Höhe,
sondern er stieg auf nach oben. Plötzlich verlor er die
Kontrolle über sich selbst. Er stürzte senkrecht hinab
und schlug mit dumpfer Wucht auf das Sprungbrett von dem
gerade eben gestartet war. |
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<= Selbsterhaltungstrieb |
Mein Sohn lag nur wenige
Meter von mir entfernt neben mir. Blutüberströmt mit
verdrehten Gliedmaßen. Ich blickte in die Menge auf dem
Sprungturm und tief unter mir. Die Menge begann sich
aufzulösen. Der Hass in den Gesichtern war verschwunden.
Die Leute gingen nach Hause. Sie dachten an ihr
Sonntagsessen und das Fernsehprogramm. Und auch ich
konnte nun in Sicherheit die lange Treppe hinunter auf
die sichere Erdoberfäche hinabsteigen. |
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<= Erleichterung |
Das nächste Mal wenn ich
auf den Turm steigen würde, dann wäre ich auf der
Zuschauerseite.
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<= Gemeinschaft |
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Hier endete die
Textübertragung. Horden von Psychologen versuchten die
symbolische Aussage dieser bedrückenden Geschichte
herauszufiltern. Futurohistoriker hingegen deuteten sie
als einen Blick in die Zukunft. Wie aber eingangs
erwähnt, finden sich in den Aufzeichnungen unzählige
solcher Geschichten und sie widersetzen jeglicher
sinnvollen Deutung. |
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<= Keine Deutung |
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