Sinngebung nötig?
IP/EP-Nr.: 19.44/4900032


   
Die folgende Aufzeichnung stammt aus den Eingweiden eines Lebenserhaltungssystems der antarktischen Forschungsstation "Progess". Der Ausdruck wurde von dem System in 217-facher Ausfertigung über Nacht erzeugt:   Ein geheimnisvoller Staub induziert Halluzinationen in Computern und MenschenZum Hintergrund: Der antarktische Staub als psychoaktive Wissensvermittlung: die Memoiren des Prof. Hans
     
Die Verkündung des Urteils war seit langem fällig. Und so begann der Niedergang unseres Kulturkreises.   <= Schicksalsahnung
Es hatte vor rund 10 Jahren begonnen, als der elsässische Aktionskünstler Jean Weiss seinen provokativen "Sinnzerstäuber" in Betrieb nahm. Dem gingen einige wenige, ereignislose Jahre der Vorbereitung vorweg.   <= Der Ort des Anlasses
Weiss hatte zunächst, über Hintermänner, das Gelände eines ehemaligen Lackierbetriebes nahe der lothringischen Stadt Thionville aufgekauft. Es folgte eine Phase reger Bautätigkeit, die auf dem Gelände die typischen Gebäude und Anlagen eines kleinen Blockheizkraftwerkes entstehen ließen. Dies fiel in die Zeit, als private Unternehmer mit der politisch gewollten Dezentralisierung der Energie- und Wärmeversorgung große Erfolge erzielen könnten. Die Umsetzung innovativer Konzepte der Kraft-Wärme-Kopplung förderte die Vielfalt an Anlagentypen und Bauweisen. So fiel es in den zuständigen Genehmigungsbehörden von Thionville und Lothringen wohl auch niemanden weiter auf, dass für die Anlage zwar großzügig ausgelegte Zuleitungen an Wasser, Gas und Öl beantragt wurden, aber wegführende Leitungen, etwa für Fernwärme oder Strom, völlig fehlten. Weissens Firma, die Chaleur Mondiale S. A., führte alle Genehmigungsverfahren, zum Beispiel hinsichtlich der Einhaltung von Emissionswerten und Arbeitsschutzmaßnahmen, anstandslos durch. Darüberhinaus gelang es dem Unternehmen, durch besonders effizienzsteigernde und umweltschonende Kesselfahrweisen lukrative Fördergelder der Europäischen Union zu erhalten. Im Jahresbericht des Arbeitsamtes Thionville wurde der Bau der Anlage sogar lobend als arbeitsbeschaffende Maßnahme gelobt.   <= Projekt ganz im Rahmen des Gesetzes
Zweieinhalb Jahre nach Grundsteinlegung ging das Blockheizkraftwerk ohne großen Staatsakt und ganz nach Planung in Betrieb. Es dauerte nur wenige Tage, bis sachkundigen Bürgern der Umstand auffiel, dass das Kraftwerk kontinuierlich und in großen Mengen Kondensschwaden produzierte. Diese noch in Luxemburg sichtbaren Nebelvorhänge kamen aus baulich unauffällig in das Betriebsgelände eingelassenen Evaporatoren. In diesen wurde ganz einfach Wasser in Überdruckkesseln auf 110 °C erhitzt und dann über lärmmindernde Diffusoren in die Atmosphäre entlassen.   <= Kondensschwaden als Produkt?
Nun überstürzten sich die Ereignisse. Es wurde schnell offensichtlich, dass der berühmt-berüchtigte Zynästhet Jean Weiss hinter der Sache steckte und eine seiner üblichen und üblen Politprovokationen im Schilde führte. Eine amtliche Begehung des Betriebsgeländes offenbarte, dass der einzige "Zweck" der Anlage in der täglichen Verdampfung von rund 10.000 Kubikmetern Wasser bestand, die ohne jegliche sinnvolle Arbeit zu verrichten einfach in die Umwelt entlassen wurden. Dazu wurden in den Kesseln abertausende von Tonnen Öl und ebenfalls abertausende Kubikmeter Gas verbrannt.

Themensprung im Archiv: Der Orbitalexpirator

Sachkundige der Ortsverwaltung
Thionville stehen sichtlich betroffen
vor dem Weiss`schen Sinnzerstäuber

Weiss wurde zu einer öffentlichen Stellungnahme aufgefordert. Er lehne es, so begann er seine Rede hochmütig, zwar grundsätzlich ab, sein Tun auf Zwang hin zu begründen. Aber da es hier nichts zu verbergen gebe, nannte er die Befriedigung von ästhetischen Bedürfnissen als Hauptmotiv. Die saubere Technik, die form- und farbenfrohen Spiele der Nebelschwaden und das satte Fauchen der Kessel böten ihm höchste sinnliche Genüsse, die er übrigens auch gerne kostenfrei allen Bürgern der Stadt und des Umlandes zugänglich machen wolle.

  <= Ästhetik als Grund?
Die sogenannte progressive Presse und die öffentliche Meinung reagierten mit Empörung: An der Nordseeküste Englands gab man infolge des Meeresspiegelanstieges bereits erste Landstriche in Essex und Lincolnshire den vorrückenden Wassermassen preis, die Europäische Union steckte Milliarden von Euros in den Bau einer Mauer um die heranrückenden Klimaflüchtlinge aus Asien abzuwehren, derweil die Niederlande den Bau von schwimmenden Städten vorbereiteten und bereits die gezielte Flutung der Provinzen Zeeland, Friesland, Groningen und der gesamten Randstad planten. Vor diesem Hintergrund pustete nun eine Figur wie Weiss täglich abertausende von Tonnen weiterer Treibhausgase in die Atmosphäre. Man sollte - und wollte - gerichtlich gegen solch eine Missachtung menschlichen Leides vorgehen.   <= Pietätlosigkeit
Allein es fand sich kein Gesetz gegen Weissens Treiben. Man durchstöberte alle nationalen und internationalen Gesetzeswerke, Staatsverfassungen und behördliche Auflagen. Nirgends fand sich auch nur ansatzweise eine Forderung, dass irgend etwas Sinn ergeben müsse, um genehmigungsfähig zu sein. Freilich, Schikane als sinnlose Provokation von Nachbarn war in vielen bürgerlichen Gesetzbüchern verankert. Aber kein seriöser Richter sah in Weissens Treiben den Tatbestand der Schikane erfüllt. Das konnte so nicht geduldet werden.   <= Sinnlosigkeit erlaubt
Politiker fast aller Parteien begaben sich eifrig ans Werk, um zu überprüfen, inwiefern man ein Mindestmaß an Sinnhaftigkeit in Genehmigungsverfahren berücksichtigen könne. Schon schnell zeigte sich das volle Ausmaß des Elends: Die Verfassung fast aller europäischen Staaten sowie die Verfassung der Union selbst müssten angepasst werden: ein Herkuleswerk!   <= Gesetzesinitiative ProSinn sinnvoll?
Diensteifrig sprangen selbsternannte Sinnstifter aller möglichen Couleur auf den Zug auf. Aus den zweifelhaften Kreisen fundamental-konservativer Ökologen und verzückt-weltentrückter Religionsfanatiker forderte man ein Verbot sinnloser Autofahrten. Es sollten Zwangssteuern auf winterliche Terassenheizungen in Gaststätten erhoben werden und sogar der Sport wurde `mal wieder ins Gerede gebracht. Hier waren wohl eher Motive wie Neid im Spiel, wenn es auf ein Neues darum ging, die Hobbyfliegerei, Power-Boat-Racing oder Heli-Skiing madig zu machen. Machtvolle Wirtschaftsverbände fackelten nicht lange und machten schnell zum Gegenangriff mobil: Alleine schon das Gerede über den Sinn menschlicher Bedürfnisbefriedigung sei eine Standortschädigung Europas. Wozu habe man 2500 Jahre Kulturgeschichte betrieben, um das Individuum gegen Dogmatismus und Ideologie zu schützen, wenn man jetzt das Erreichte so leichtfertig wieder aufs Spiel setzen wolle? Und die meisten der geforderten Maßnahmen würden im wirtschaftlichen und sogar physischen Ruin Europas enden. Das, so der Sprecher der Vereinigten Wirtschaftsverbände Westeuropas und Estlands, Juri Konjew, sei evident.   <= Sinn wirtschaftlich nicht tragbar
Es kam wie es kommen musste: Das Blockheizkraftwerk, von den Weltverbesserern boshaft auch "Sinnzerstäuber" genannt, landete vor dem europäischen Verfassungsgericht in Krakau. Europa und die Welt warteten mit Spannung auf den Ausgang, denn es ging hier um einen Präzedenzfall mit weitreichenden wirtschaftlichen Folgen. Schon lagen viele Ökokraten in Lauerstellung, um die unbescholtenen Bürger mit Formularen zu überhäufen, in denen sie den "Sinn" ihres Tuns und Habens rechtfertigen sollten. Und ihr Warten sollte belohnt werden. Schon einen Tag nach der Urteilsverkündung stiegen keine Nebelschwaden aus den Weiss`schen Evaporatoren auf. So begann der Abstieg unser abendländischen Kultur und der Aufstieg der barbarischen Horden.   <= Ein Urteil mit Folgen
     
Hier endet der von einem Computer erzeugte Text. Es war weniger der Inhalt dieser absurden Erzählung als vielmehr die Tatsache, dass sie von einem Computer produziert wurde, der niemals mit dem antarktischen Staub dotiert wurde oder in der Nähe eines bekannten Vorkommens stand, die die Welt der Wissenschaft erregte. Wohl lag die russische Forschungsstation Progress Karte mit der geographischen Lage von "Progress" und "Vostok" in geographischer Nähe zu genau jener Station, Vostok, in deren Nähe der Staub erbohrt worden war. So gab diese an sich banale Geschichte letztendlich den Anlass zu weiteren geologischen Erkundungen in der Antarktis, die aber bis auf diesen Tag ergebnislos verliefen.   <= Nachwort des Archivators

   
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