Skat und Mitarbeiterbewertung

Ideenskizze einer alternativen Mitarbeiterbeurteilung

Aachen, Januar 2003

   
[1] So mancher Untergebene fühlt sich auf der Arbeit von seinem Chef nicht angemessen gewürdigt. Und so mancher Vorgesetzte fühlt sich mit der Beurteilung seiner Mitarbeiter überfordert.   <= Bewertung ist problematisch
[2] Das Problem ist grundsätzlicher Natur und es kann in der gegenwärtigen Ausgestaltung von Bewertungsmethoden nicht gelöst werden. Hierzu werde ich gleich einige anschauliche Beispiele anführen.    
[3] Konsequente Änderungen an der Organisation von Arbeitsabläufen und einige einfach handhabbare Ergänzungen bestehender Beurteilungssysteme hingegen können das Problem spürbar entschärfen. Hiervon später mehr.    
[4] Zunächst möchte ich also zeigen, wie schwer es in der alltäglichen Praxis der Arbeit sein kann, den Beitrag einzelner zum Erfolg von Gruppen oder zum Unternehmen zu bewerten.    
[5] Betrachten wird dazu einen nicht ganz unwahrscheinlichen Typus von Kollegen: den Effekthascher. Der Effekthascher versteht es, vorhandene, stille Substanz kurzfristig in wahrnehmbare Effekte umzusetzen. Wie ein Sportler seinen Stoffwechsel kurzzeitig in einen anaeroben Höchstleistungsmodus umschalten kann, so kann der Effekthascher sich und seine Umwelt zu kurzzeitigen Höchstleistungen motivieren. Und so wie der Sportler anschließend in eine regenerative Erschöpfung verfällt, um seine Substanz zu erneuern, so hinterlässt auch der Effekthascher ein regenerationsbedürftiges Umfeld. Dann aber hat er sich schon eine neue Umgebung gesucht, die er zu Höchsleistungen anspornen kann. So treibt der Effekthascher Raubbau an der Substanz, ohne dafür bezahlen zu müssen. Was aber ist nun konkret diese regenerationsbedürftige Substanz, auf deren Kosten man vorübergehend brillieren kann (und manchmal sogar soll)?   <= Der Effekthascher ist schwer zu entlarven
[6] Zur Substanz gehören zum Beispiel gut dokumentierte und geordnete Unterlagen, leserliche Gesprächsnotizen, aktuelle Kontaktadressen und sauber dokumentierte Software. Aber auch die Leistungsfähigkeit von Mitarbeitern ist Substanz. Das Gefühl der Wertschätzung, eine zufriedene Familie, Freiheit von psychosomatischen Beschwerden, der Besuch sinnvoller Fortbildungsmaßnahmen, Vertrauen zu Kollegen und Vorgesetzten und das Gefühl an Entscheidungsprozesses beteiligt zu werden tragen zum Erhalt individueller Leistungsfähigkeit bei und gehören zur Substanz.   <= Beispiele von Substanz

Motivation ist nicht einfach zu erreichenKontraproduktive Motivationskultur?

[7] Die substanzielle Leistungsfähigkeit einer Gruppe wird zum Beispiel gefördert durch die Verteilung von Wissen auf verschiedene Personen und durch die Erstellung vorausschauender, realistischer Arbeitspläne.   <= Gruppensubstanz
[8] Die Pflege solcher Arten von Unternehmenssubstanz erfordert jedoch neben gewissen menschlichen Fähigkeiten und Interessen insbesondere eines: Zeit. Eine aussagekräftige Gesprächsnotiz anzufertigen kann schnell länger dauern als das eigentliche Gespräch. Ordner kontinuierlich "auszumisten" und gegebenenfalls umzusortieren beansprucht schnell einen ganzen Tag. Software auch für projektfremde Softwareentwickler verständlich zu dokumentieren kann länger dauern als die eigentliche Programmierarbeit. Persönliche Beziehungen zu Mitarbeitern aufzubauen, ihre echten Interessen, Ängste, Stärken und Eigenarten zu ergründen und Rücksicht auf ihr Privatleben zu nehmen fordert ebenfalls sehr viel Zeit.    
[9] Der Effekthascher vermag es nun, entweder über Begeisterung, Vorhaltungen, subtil aufgebaute Erwartungshaltungen oder die sachliche Formulierung gewisser unmittelbarer Sachzwänge seine Mitarbeiter zur Vernachlässigung der Substanzpflege zu bewegen.    
[10] Nicht täglich benötigte Dokumente werden nicht mehr aktualisiert, es werden Überstunden auf Kosten von Familie und Erholung gemacht, man lässt Mitarbeiter auch bei sichtbar angeschlagener Gesundheit weiter arbeiten, Entscheidungen werden nicht mehr im Team vorbereitet und abgestimmt sondern bloß noch verkündet, Fortbildungsmaßnahmen und persönliche Gespräche werden auf "ruhigere Zeiten" verschoben.    
[11] In solch einem Klima kann tatsächlich in kurzer Zeit viel bewegt werden. Aufträge können schnell abgearbeitet werden, Angebote werden in Kürze erstellt und interne Umstrukturierungen ohne viel Aufhebens und Gerede durchgeführt. Das zuvor als Substanz gespeicherte, unsichtbare Leistungsvermögen wird in sichtbare Effekte verwandelt.    
[12] Gegenüber dem Kunden, dem Vorstand, dem eigenen Chef, Aktionären oder, im Falle von Politikern auch dem Wähler, können handfeste Ergebnisse vorgelegt werden. Und bevor sich die ersten Mitarbeiter nach neuen Arbeitsstellen umsehen (die "besten" zuerst), innerlich kündigen oder chronisch krank werden und bevor interne Dokumente von niemandem mehr verstanden werden können, bevor solche Dinge passieren, hat sich der Effekthascher längst ein neues Betätigungsfeld gesucht. Für Außenstehende ist er ein guter Macher. Und je mehr er seine Mitarbeiter ausgelaugt hat, desto sichtbarer wird seine überragende Fähigkeit gegenüber seinen Vorgängern und Nachfolgern.    
[13] Man sollte nun aber weder den Effekthascher noch seine Auftraggeber vorschnell verurteilen. Denn die unsichtbare Substanz ist für die meisten Menschen tatsächlich unsichtbar. Wer traut sich zu, zu beurteilen, wie gut Ordner gepflegt sind, wenn er nicht selbst ins tägliche Geschäft eingebunden ist und über Detailkenntnisse verfügt? Wer kann schon sagen, ob ein offenes Ohr für die privaten Probleme eines Mitarbeiters nicht dazu ausgenutzt wird, Faulheit zu verbergen? Wer kann schon sagen, ob mancher Mitarbeiter seine Einbindung in Entscheidungsprozesse nicht als Unsicherheit seines Chefs interpretiert und ihm daraufhin versucht keck "auf der Nase herumzutanzen"?   Von den Schwierigkeiten, gut zu führenFühren ist per se schwer: Leadership Qualities
[14] Und woran soll man erkennen, ob ein bestimmter Kollege durch seine Art, Informationen nur sehr stark gefiltert weiter zu geben seine eigene Unentbehrlichkeit sicher stellen will oder ob er im Sinne anspruchsvoller Wissensarbeit adressatengerecht irrelevantes Wissen aussondert?   Ein Büroarbeiter als Neuron: viel Input wenig Output als Grundfunktion von WissensarbeitÄhnliches Thema: Bürokommunikation in der Metapher neuronaler Informationsverarbeitung
[15] Ein anderer Menschentyp den man nur schwer, wenn überhaupt, erkennen kann ist der subtile Intrigant. Er versteht es, in seinem Umfeld Mißerfolge zu erzeugen ohne dabei als Täter überführt werden zu können. Seine Methoden sind einfach. Er verbreitet Gerüchte (oder Tatsachen) die Mißtrauen oder Neid schüren. Klassische Beispiele sind Spekulationen über verdeckte Extragehälter von Mitarbeitern, Protegierungen von leistungsschwachen Mitarbeitern durch den Chef oder vermutete Alkoholprobleme. Und er verstärkt gängige Vorurteile, dass alle anderen Abteilungen oder Arbeitsgruppen nichts taugen und ständig nur ungerechtfertigte Anforderungen stellen.   <= Der subtile Intrigant
[16] Der Intrigant muss nicht unbedingt lügen oder ins Blaue phantasieren. Es genügt für seine Wirkung, wenn er vorzugsweise schädliche Sichtweisen in seiner Umwelt bestärkt und positive, teambildende Sichtweisen unterdrückt. Äußert etwa Kollege Mayer die Vermutung, dass Kollege Lapp vom Chef dieses Jahr eine beträchtliche Extrazahlung als Beraterhonorar erhalten habe, so mag der Intrigant vielleicht ergänzen, dass ihm so etwas auch schon zu Ohren gekommen sei. Er, der Intrigant, verschweigt dabei aber seine Kenntnis, dass Kollege Lapp Anfang des Jahres freiwillig mehrere Wochenenden hintereinander Überschichten geleistet hat, um einem anderen Kollegen aus der Patsche zu helfen.    
[17] Der versierte Intrigant fällt weder Kollegen noch Vorgesetzten als solcher auf und richtet dennoch durch die Vorenthaltung positiver Sichtweisen und Stimmungen großen Schaden an. Wie aber soll man geschickte Intriganten entlarven? Die Frage muss an dieser Stelle offen bleiben.   <= Intrigant nicht entlarvbar
[18] Aber nicht nur potenziell schädliche Mitarbeitertypen wie der Effekthascher oder der Intrigant sind in ihrer Wirkung schwer zu beurteilen. Auch positive Verhaltensweisen lassen sich nur schwer in Verbindung mit wirtschaftlichem Erfolg bringen.    
[19] Betrachten wir den Typus des Verbinders, dessen Wirkung der des Intriganten entgegengesetzt ist. Der Verbinder fördert Gruppengefühl, Vertrauen und Verständnis unter den Kollegen. Er führt Menschen zusammen. Er baut Mißtrauen, Ängste und schädliche Gerüchte ab. Er geht dabei oft sehr behutsam vor. Er baut persönliche Beziehungen auf, nutzt die Möglichkeit zu Zweiergesprächen am Rande der üblichen Arbeitszeiten und er hört eher zu als dass er selber redet. Wenn sich Kollegen frustriert über die geringe Zuwendung des gemeinsamen Chefs äußern, dann weist der Verbinder auf die unsichtbaren Belastungen des Chefs hin. Hört der Verbinder, dass man über etwaige verschwiegene Extraeinkommen eines Kollegen munkelt, dann lässt er das den betreffenden Kollegen auf taktvolle Weise wissen und eröffnet ihm vorsichtig die Sicht auf Möglichkeiten, die Sache zu klären. Der Verbinder nutzt jede Gelegenheit, Kollegen auf mögliche Hilfestellungen untereinander hinzuweisen. Er erspürt Schwächen von Kollegen, wie etwa mangelnde Rechtschreibekenntnisse oder Internetfähigkeiten, und er outet sich demonstrativ vor dem Kollegen mit eigenen Schwächen, um wiederum dessen Ängste vor einer öffentlichem Blamage abzubauen. Er macht Schwächen salonfähig. Der Verbinder versucht Menschen in ihrem Selbstwertgefühl zu bestärken und er nutzt gezielt Chancen, dass sich seine Kollegen untereinander helfen und anerkennen. Die dazu nötige Arbeit verrichtet der Verbinder vorzugsweise im Verborgenen, in Einzelgesprächen, oder auf versteckte Weise in der Öffentlichkeit um keinem Kollegen zu nahe zu treten. Der Erfolg des Verbinders hängt sozusagen davon ab, dass er unerkannt arbeitet.   <= Der Verbinder

Andere Beispiele für verwickelte Abhängigkeiten zwischen Einzelmaßnahmen und Gesamterfolg:
Ein Hotel soll wirtschaftlich saniert werden, aber wie? Das Hotel
Ein Tankstellenbetreiber will nach Südostasien expandieren. Tankstellen
Wieviel Demokratie verträgt ein Großunternehmen? Unternehmenskultur
Wie kann man einen sibirischen Fuchs "optimieren"? Der Nordfuchs
Wie sieht der lukrativste Tante-Emma-Laden aus? Tante-Emma-Läden

[20] Der erfolgreiche Verbinder erzeugt also Gruppennutzen auf Kosten eigener vorweisbarer Leistungen. Denn eine solche Art der Mitarbeiterpflege erfordert sehr viel Zeit. Diese Zeit fehlt dem Verbinder, um selbst sichtbare Erfolge vorzuweisen und sein Chef wird sich schwer tun, in seinem Tun den wahren Nutzen zu erkennen.   <= Verbinder schwer erkennbar
[21] Solche Betrachtungen über die Schwierigkeiten, das Verhalten einzelner mit dem Unternehmenserfolg in Bezug zu setzen könnten Bücher füllen. Man kann sogar so weit gehen, dass man noch nicht einmal den Nutzen seines eigenen Tuns richtig bewerten kann. Denn selbst wenn ich als Leiter einer kleinen Firma ein ehrliches Interesse an motivierten und leistungsfähigen Mitarbeitern habe, dann weiß ich noch lange nicht, ob dies besser über ein autoritär, patriarchalisches Auftreten oder über ein verständnisvoll kooperatives Verhalten gefördert wird.    
[22] Die angedeuteten Schwierigkeiten zur Korrelation von individuellem Verhalten zum Gruppen- oder Unternehmennutzen haben mehrere Gründe:
  • Fehlen objektiver Erfolgsmaßstäbe
  • vertrackte Abhängigkeiten
  • beschränkte Betrachtungszeiträume
   
[23] Der Vorgesetzte, der eine Beurteilung über einen Mitarbeiter schreiben soll, muss dessen Wert an irgend einem objektiven Erfolg messen. Die Logik der Konkurrenz von Unternehmen verbietet es, mit dem bloßen Bemühen eines Menschen zufrieden zu sein. Der Vorgesetzte benötigt also etwas, dessen Erfolg er klar bewerten und mit dem Tun des Mitarbeiters in Verbindung bringen kann.   <= objektiver Erfolgsmaßstab nötig
[24] Eindeutig bewertbar und somit naheliegend sind vor allem quantifizierbare Größen wie Umsätze, Kostensenkungen, Personalreduzierungen, Absatzsteigerungen, Ausschussraten, Unfallstatistiken, Produktentwicklungszeiten oder die Anzahl von Reklamationen.   <= quantifizierbare Erfolgsgrößen
[25] Wie aber oben gezeigt wurde, lässt sich das Tun einzelner Mitarbeiter nur sehr schwer, wenn überhaupt, mit solchen Erfolgsgrößen in Verbindung bringen. Ist zum Beispiel die Anzahl der Reklamationen gesunken, weil der zu bewertende Kollege die Zufriedenheit der Kunden gesteigert hat? Oder kann es sein, dass das Gegenteil der Fall ist: Kunden wenden sich aufgrund schlechter Produkte oder Dienstleistungen direkt, ohne Reklamation, von der Firma ab? Hier zu recherchieren übersteigt wahrscheinlich die detektivischen Fähigkeiten und zeitlichen Ressourcen von Chefs.   <= Vertrackte Abhängigkeiten
[26] Und wie soll der Vorgesetzte erst langfristig erkennbare Veränderungen an der Unternehmenssubstanz berücksichtigen? Woher soll er wissen, ob der zu bewertende Mitarbeiter die Produktionskosten nur deshalb senken konnte, weil er gleichzeitig auf eine vorausschauende Instandhaltung verzichtet hat, die Mitarbeiterfortbildung reduzierte, Anlernzeiten von neuen Mitarbeitern verkürzte, Dokumentationen nicht mehr pflegen ließ und keinen Nachfolger für sich selbst aufgebaut hat? Um diese Fragen beantworten zu können müsste der Vorgesetzte in die Zukunft schauen können.   <= beschränkte Betrachtungszeiträume
[27] Ich möchte an dieser Stelle die Problembeschreibung beenden. Es sollte deutlich geworden sein, wie schwierig es ist, individuelles Verhalten und Gruppen- oder Unternehmenserfolg miteinander zu verknüpfen. Bevor nun ein konkreter Verbesserungsvorschlag gemacht wird, soll kurz etwas über das Skatspiel erzählt werden, denn es liefert den wesentlichen Ansatz einer Lösung.   <= Ende der Problembeschreibung
[28] Skat ist ein Kartenspiel für drei Personen. Zunächst werden gleich viele, gemischte Karten an alle Mitspieler ausgegeben. Diese beginnen dann zu "reizen". Die Spieler geben sich untereinander vorsichtige Hinweise über die Qualität der Karten, die ihnen der Zufall in die Hand gegeben hat. Am Ende des Reizens steht fest, welche zwei Spieler gemeinsam gegen einen Einzelkämpfer antreten. Dann folgt das eigentliche Spiel. Das Zweierteam gewinnt oder verliert gemeinsam gegen den Einzelspieler.   <= Skat als Spiel
[29] Nun kann man nach einer Spielrunde noch keine zuverlässigen Aussagen darüber treffen, wie gut denn ein einzelner Skatspieler wirklich ist. Zu Ersten entschied der Zufall über die Verteilung der Karten und das macht schon eine ganze Menge aus. Zum Zweiten kann jeder Spieler auch schon einmal kurzfristige Konzentrationsstörungen haben oder er begeht hin und wieder gelegentliche Denkfehler. Und vor allem ist es nicht möglich zu entscheiden, welcher der beiden Spieler des Zweierteams welchen Anteil am Erfolg oder Mißerfolg des Tandems hatte. Dazu müsste man die Karten aller Spieler kennen und auch in die Köpfer der beiden Spieler gucken können. Denn die beiden dürfen sich während des Spieles nicht über ihre Karten und Strategieabsichten unterhalten, sondern sie sind alleine darauf angewiesen, aus dem Spielverhalten des Partners auf dessen geplante Strategie zu folgern. Skat ist ein Spiel das hohe Ansprüche an die Merkfähigkeit, Erfahrung, Konzentration und die Fähigkeit Strategien zu schmieden stellt. Ein einzelnes Skatspiel ist eine Angelegenheit von wenigen Minuten.    
[30] Jetzt ist es aber so, dass Skatbrüder gerne eine ganzen Abend gemeinsam verbringen und zig Runden Skat miteinander spielen. Für jede Runde wird durch das Reizen neu festgelegt, wer alleine gegen die anderen beiden spielt. Am Ende einer jeden Runde werden dann als Ergebnis der Einzelrunde Punkte vergeben. Und jetzt kommt das Wesentliche: Die Punktewertung für das Zweierteam wird jedem der beiden Spieler individuell zugeschrieben und zwar ohne zwischen den beiden Spielern irgendwie zu unterscheiden. So kann es sein, dass ein besonders schlechter Spieler im Gewinnerteam landet und genauso viele Punkte bekommt wie sein hervorragender Kollege.    
[31] Je mehr Spielrunden nun aber stattfinden, desto mehr schlägt sich die wahre Fähigkeit jedes einzelnen Spielers im Gesamtergebnis nieder. Ein sehr schlechter Spieler kann zwar hin und wieder dank eines guten Partners gewinnen, im statistischen Mittel aber wird sein Team eher schlecht abschneiden. Und das wirkt sich früher oder später auf sein individuelles Punktekonto aus.    
[32] Diese Methode der Skatbewertung lässt sich nun, zumindest theoretisch, auch auf die Beurteilung von Mitarbeitern übertragen. Stellen wir uns vor, innerhalb einer größeren Abteilung eines Unternehmens müssen immer wieder wechselnde Aufgaben von immer wieder wechselnden Teams bearbeitet werden. Der Vorgesetzte, der für die Beurteilung aller Abteilungsmitarbeiter verantwortlich sein soll, würde sich jetzt in Anlehnung an das Skatspiel gar nicht mehr die Frage nach dem Einfluss einzelner Mitarbeiter auf den Teamerfolg stellen. Er würde viel mehr Erfolgskriterien für ganze Teams definieren und jedem einzelnen Teammitglied das gleiche, undifferenzierte Urteil zukommen lassen. Solche gruppenbezogenen Anteile in der Bewertung von Mitarbeitern gibt es natürlich auch heute schon. Aber der neue Gedanke ist, ausschließlich auf Gruppenbewertungen zu bauen und gänzlich auf individuelle Beurteilungen zu verzichten.   <= Skatbewertung im Beruf
[33] Um das Vorbild des Skatspiels aber auch im Berufsleben zu nutzen, muss jeder Mitarbeiter eine Art Punkte- oder Beurteilungskonto führen, welches über möglichst viele "Runden" Auskunft gibt. Erst dann wird der Nutzen realisierbar.   <= Statistik braucht Masse
[34] Stellen wir uns einmal vor, um es ganz einfach zu machen, dass alle Teamaufgaben bloß danach unterschieden werden, ob sie erreicht wurden oder nicht:
  • Kostensenkung erreicht ja/nein
  • Anzahl Reklamationen gesenkt ja/nein
  • Liefertermin eingehalten ja/nein
  • Inbetriebnahme erfolgreich ja/nein

Natürlich könnte man auch Noten, etwa von eins bis sechs, vergeben, aber das ist nicht unbedingt nötig. Sagen wir nun einmal ein Ja entspräche der Zielerreichung 1 und ein Nein entspräche der Zielerreichung 0.

  <= Einfache Noten
[35] Stellen wir uns nun vor, Herr Oberstein und Frau Taschenbier seien zwei Mitarbeiter dieser Abteilung. Wie alle Mitarbeiter der Firma müssen auch diese beiden eine Art Zeugnisheft ihrer Arbeit führen. Und hier ist ein Auszug aus den beiden Zeugnisheften:

Teamaufgaben Herr Oberstein Zielerreichung
Sept. 2001: Kostensenkung Facility Management 0
Sept. 2001: Durchlaufzeit Lagerhalle gesenkt 1
Okt. 2001: Fehlerbehebung Artikelbezeichnung 0
Okt. 2001: QM-Zertifizierung Lagerwesen 1
Nov. 2001: Kostensenkung Facility Management 0
Dez. 2001: Senkung Krankstand Abteilung 4/1 0
Dez. 2001: Steigerung Unternehmensgewinn 1
Aufgelaufener Durchschnitt 0,43


Teamaufgaben Frau Taschenbier Zielerreichung
Aug. 2001: Endabnahme Müller-Turbine 1
Sept. 2001: Fertigstellung Abschlussbericht 1
Okt. 2001: Einstellung neuer Mitarbeiter 0
Nov. 2001: Germers-Auftrag erhalten 1
Nov. 2001: Papierloses Abteilungsarchiv 0
Nov. 2001: Senkung Krankstand Abteilung 4/1 0
Dez. 2001: Steigerung Unternehmensgewinn 1
Aufgelaufener Durchschnitt 0,57
  <= Beispielhafte Notenhefte
[36] Man kann den vorsichtigen Schluss ziehen, dass Frau Taschenbier geringfügig bessere Ergebnisse herbeiführt als Herr Oberstein. Aber angesichts der dünnen Faktenlage von nur 7 Projektbewertungen ist große Zurückhaltung geboten.    
[37] Denn wie für Statistiken üblich, gewinnen Aussagen erst mit einem ausreichend großen Datenbestand an Verlässlichkeit. Was spräche also dagegen, das Zeugnisheft für alle Arbeitsverhältnisse und über ein ganzes Leben hinweg, vielleicht sogar schon für die Schulzeit, zu führen? Dann hätte ein einzelnes Heft nicht 10 oder 20 Zeilen, sondern Hunderte oder Tausende.   <= Statistiken brauchen Masse

Spekulationen über die Rolle des Zufalls in einem teleologisch interpretierten KosmosThemensprung: Zufall und Statistik im Zusammenhang mit Religion und Physik

[38] Lehrer, Ausbildungsleiter, Vorgesetzte, Professoren und so weiter müssten ihre Lehr- und Arbeitsziele dann so formulieren, dass sie eindeutig quantifizierbar bewertet werden können. Und: Gruppenarbeit wird jetzt nicht mehr zu einem Hindernis für die Beurteilung von Schülern, sondern das Gegenteil ist der Fall. Idealerweise werden Gruppenziele vor Beginn der Arbeit als Zielvereinbarung mit dem späteren Bewerter abgestimmt. Natürlich könnten auch individuelle Einzelarbeiten direkt bewertet werden; die zu bewertende Gruppe bestünde dann aus nur einer Person. Zu bewertende Aufgaben können sich auch zeitlich überschneiden, sie können einen Umfang von wenigen Minuten (Prüfung) oder mehreren Jahren (Großprojekt) haben.   <= alles ist bewertbar
[39] Nun tauchen aber Probleme auf: Soll ein millionenschweres Großprojekt zur Erschließung des boomenden asiatischen Marktes genauso stark berücksichtigt werden, wie die routinemäßige Präsentation der Abteilungsergebnisse vor dem Unternehmensvorstand? Und sollten nicht auch unterschiedliche Anforderungsprofile an Projekte berücksichtigt werden? Sollte nicht differenziert werden können, ob bestimmte Aufgaben strenge Anforderungen an die Termintreue, an kommunikative Fähigkeiten oder an die Kreativität stellen? Auf diese beiden Aspekte, Wichtung und Anforderungsprofile, möchte ich im Folgenden eingehen.   <= Wichtung und Anforderungsprofile
[41] In Ergänzung zu dem oben gemachten Vorschlag einer ja/nein-Bewertung von Arbeitsergebnissen soll jetzt die zu erfüllende Aufgabe näher spezifiziert werden. Es soll für jede Aufgabe ausgewiesen werden, worin ihre besonderen Herausforderungen bestanden, wie viele Personen an ihr mitwirkten, wie lange sie bearbeitet wurde etc. Um die Eigenarten von Aufgaben letztendlich auch statistisch mit Eigenschaften von Personen korrelieren zu können, muss die Spezifizierung von Aufgaben aber über alle Bewertungssituationen hinweg einheitlich sein - also von der Schulzeit beginnend bis zur Rente und für ganze ökonomisch einheitliche Regionen. Die folgenden Vorschläge einer beschreibenden Kategorisierung von Aufgaben kann nur illustrativen Charakter haben, um den Grundgedanken anschaulich darzustellen und sollte darüber hinaus nicht weiter ernst genommen.   <= Korrelation von Aufgabentypen zu Einzelpersonen
[42] Hier also ist ein Vorschlag: Für jede Aufgabe die bewertet wird, müssen vom Bewerter wichtende Punkte für verschiedene Eigenschaften der Aufgabe vergeben werden. Die Wichtung sagt aus, wie wichtig die Aspekte für die Erledigung der Aufgabe sind, nicht wie gut sie erfüllt wurden. Der Bewerter muss insgesamt genau 100 Punkte vergeben, die er vollkommen frei auf die einzelnen Eigenschaften der Aufgabenspezifizierung verteilen kann. Die entsprechenden Felder sind im Bild 1 bräunlich hinterlegt. Einige allgemeine Informationen zur Aufgabe stehen ausserhalb der Punktewertung. Solche Felder sind gelb hinterlegt. Um es noch einmal deutlich zu machen: mit diesem Formular wird nicht rückwirkend die Erfüllung der Aufgabe beurteilt, sondern vorlaufend die Aufgabe selbst spezifiziert, die aufgelisteten Eigenschaften beziehen sich nicht auf die Mitarbeiter, sondern sie beziehen sich auf die Anforderungen wie sie an das gesamte bearbeitende Team gerichtet werden.   <= Aufgaben werden spezifiziert

Themensprung: Software zur Bewertung von Alltagskommunikation (Mailwatcher)

Bild 1: Charakterisierung teambezogener Projekte

<= Jede Aufgabe bzw. jedes Projekt wird mit seinen besonderen Anforderungen und Rahmenbedingungen spezifiziert.
[43] Wenn nun jedes Projekt, jede Schulaufgabe, jeder Arbeitsprozess an dem ein Mensch beteiligt werden, derart spezifiert ist, dann lassen sich darüber statistische Rückschlüsse darauf ziehen, inwiefern ein einzelner Mensch zu gewissen Teameigenschaften beiträgt.    
[44] Wenn zum Beispiel Herr Oberstein vom Typ "Effekthascher" wäre, wie weiter oben beschrieben, dann könnte es durchaus sein, dass er statistisch signifikant auffällig oft bei kurzfristig erfolgreichen Projekten vertreten ist. Herr Oberstein würde dann aber auch damit auffallen, dass seine Person auffällig oft in Verbindung mit Mißerfolgen lang angelegter Aufgaben steht.   <= Effekthascher wird auffällig
[45] Auf gleiche Weise ließe sich ein substanzpflegender Verbinder erkennen. Zum Erfolg von Aufgaben mit kurzer Laufzeit weicht er statistisch gesehen kaum vom Beitrag seiner Kollegen ab. Vielleicht mindert er den Erfolg dadurch etwas, dass er einen "Evolutionsnachteil" gegenüber dem Effekthascher aufweist und kurzfristig nutzlose Zeit auf Gespräche und Denkbarbeit verschwendet, Dokumente ordentlich pflegt und überhaupt nachhaltig arbeitet. Aber betrachtet man den Erfolg von Aufgaben mit langer Laufzeit, dann kann es sein, dass der Verbinder statistisch signifikant oft mit diesen in Verbindung steht.   <= Verbinder wird erkennbar
[46] Stellt man sich nun einmal vor, dass man über einen Datenbestand von einigen tausend Mitarbeitern verfügt und für jeden Mitarbeiter Projekte und Aufgaben seit seiner Schulzeit auswertbar vorhanden sind, dann eröffnen sich hochinteressante und potenziell beantwortbare Fragestellungen.   <= Große Datenbestände und interessante Fragen
[47] Man könnte etwa nach der Persönlichkeitsentwicklung einzelner Personen über die Jahre hinweg fragen. Betrachten wir dazu einmal den folgenden Datenbestand:    

Themensprung: Genetische Methoden zur erfolgsorientierten Bewertung von Daten (evolutionäre Ökonomie)

Bild 2: Punkteentwicklung eines Mitarbeiters über die Jahre hinweg

[48] Die obige Tabelle zeigt die durchschnittlich pro Jahr erreichten Punkte eines Mitarbeiters, die er in erfolgreich abgeschlossenen Projekten erzielt hat. Ein erster Blick auf den Datenbestand zeigt dreierlei: Die Bedeutung von Kreativität, Phantasie, Präsentationstalent und Lobbying ist über die Zeit deutlich angestiegen, und zwar auf Kosten von Durchsetzungsvermögen, Termintreue, Organisationstalent und Qualitätstreue. Die Wichtigkeit der von dem Kollegen bearbeiteten Projekte erlebte einen kurzen Einbruch von 1993 bis 1995 und stieg dann wieder auf den vorherigen Wert an. Als Graph sähe die Entwicklung wie folgt aus:    

Themensprung: statistische Auswertung für Tante-Emma-Läden (evolutionäre Ökonomie)

Bild 3: Mitarbeiteranteil am Gruppenerfolg über Jahre hinweg

<= Das sieht noch recht wirr aus.
[49] Was hier noch recht wenig aussagekräftig aussieht wird schon etwas bedeutungsvoller, wenn man die Durchschnittswerte bestimmter Qualitäten auf eine Vermutung hin zusammenfasst: Der Kollege entwickelte sich über die Jahre von einem Mitarbeiter der Produktion zu einem Öffentlichkeitsarbeiter. Wünschenswerte Qualitäten eines Produktionsmitarbeiters sind unter anderem: Durchsetzungsvermögen, Termintreue, Organisationstalent und Qualitätstreue. Wünschenswerte Qualitäten eines Mitglieds der Öffentlichkeitsarbeit könnten sein: Kreativität, Phantasie, Präsentationstalent, Schlichtungsvermögen, Lobbying und Verwaltungstalent.    

Themensprung: die Bedeutung von Gruppen in der wissenschaftlichen Betrachtung

Bild 4: Mitarbeiteranteil an kategorisierten Erfolgsmaßstäben

<= An den aufbereiteten Daten erkennt man schon mehr.
[50] Die obige Filterung und Aufbereitung der Daten spricht für die Hypothese, dass der Mitarbeiter von 1989 bis 1991 vorrangig in der Produktion eingesetzt war, anschließend in Einsatzgebieten mit wechselnden Anforderungen tätig (evt. auch Fortbildungen, weil Wichtigkeit absank) und letztendlich als Lobbyist in der Öffentlichkeitsarbeit tätig wurde.   <= Vermutung als Interpretation
[51] Es muss an dieser Stelle noch einmal betont werden, dass die Datenbestände nicht so angelegt sind, dass man unmittelbar auf die Qualitäten einzelner Menschen schließen kann, sondern lediglich darauf, welchen Einfluss ein Mensch auf bestimmte Anforderungen eines Teams hat. Wie bei allen Statistiken ist größte Vorsicht bei Interpretationen angesagt. So kann im Beispiel oben aus dem Rückgang der Bedeutung produktionsrelevanter Anteile der Erfolge des Mitarbeiters noch langen nicht gefolgert werden, dass der Mitarbeiter entsprechende Qualitäten verloren hat. Genauso denkbar ist ein Wechsel seines Einsatzgebietes als Ursache des geänderten Punktemusters.   <= Vorsicht bei Interpretationen
[52] Sicherlich würde der Versuch einer Praxisanwendung dieses Systems einer Mitarbeiterbewertung große Detailprobleme aufwerfen. Beispielhaft sei hier nur die Frage nach dem Datenschutz, der Anonymisierung von personenbezogenen Daten, der Sicherung des Datenbestandes durch Manipulationen des Mitarbeiters selbst oder durch andereetc. aufgeworfen. Wahrscheinlich wäre es nötig, eine Art Zentralregister für Beurteilungsdaten einzurichten, vielleicht organisatorisch eingebunden in die Sozialversicherungssysteme. Ein neuer Arbeitgeber dürfte dann vielleicht nur solche Daten einsehen, die der betroffene Mitarbeiter vorher selbst frei gegeben hat. All diese Aspekte werfen große, technische und rechtliche Probleme auf.   <= Probleme der Umsetzung
[53] Aber die Probleme werden vielleicht durch einen großen Vorteil aufgewogen: Menschliche Qualitäten die in der Betrachtung kurzer Zeiträume und kleinerer Projekte im Geflimmer alltäglicher Zufälligkeiten untergehen haben eine Chance sichtbar zu werden. Bescheidenheit und angemessene Zurückhaltung werden belohnt und nicht mehr bestraft. Denn es werden vor allem Verhaltensweisen belohnt, die nicht auf individuelle Profilierung sondern den Teamerfolg abzielen. Denn ein einzelner Mitarbeiter hat in einer reinen Teambewertung keinerlei Vorteil mehr davon, sich auf Kosten des Gesamterfolges selbst hervorzutun. Man kann seine Punktezahl ausschließlich dadurch verbessern, dass man ehrlich am Gruppenerfolg mitarbeitet.    
[54] Man muss sich gar keine Mühe mehr geben, dass der Chef es merkt, wenn man sozusagen uneigennützig Kollegen hilft, wenn man positive Arbeitseinstellungen in seinem Umfeld verstärkt oder wenn man rechtzeitig auf Fehlentwicklungen hinweist, obwohl sie einem gar nicht selbst angekreidet werden könnten. Stille Kooperation wird belohnt, pfiffiges Intrigieren hingegen nicht.    
[55] Und auch der Chef, derjenige der bisher seine Mitarbeiter zu bewerten hatte, ist von einer unangenehmen Last befreit. Er muss einem Mitarbeiter kein gutes Zeugnis mehr ausstellen in der Angst, von diesem geblendet worden zu sein. Und er muss keinem Mitarbeiter mehr ein schlechtes Zeugnis ausstellen in der Angst, dessen unsichtbares, positives Wirken nicht erkannt zu haben. Hierdurch könnte sich vielleicht auch das Verhältnis von Mitarbeitern zu Vorgesetzten entspannen.    
[56] Ich möchte die Betrachtungen an dieser Stelle beenden. Sicherlich ließe sich die Idee noch weiter ausschmücken. Aber im Prinzip spinnt sie bloß etwas weiter fort, was Skatspieler tun: Man bewertet den Gruppenerfolg und nicht den Anteil eines Einzelspielers daran. Das eingangs erwähnte Problem, dass so mancher Untergebene sich auf der Arbeit von seinem Chef nicht angemessen gewürdigt fühlt und so mancher Vorgesetzte sich mit der Beurteilung seiner Mitarbeiter überfordert sieht, könnte über eine verstärkte Bewertung von Gruppenerfolgen vielleicht gemildert werden.    

Eine Ebene höher // Zwei Ebenen höher

 

E-Mail Adresse
Kontakt