Eine Region in Raumzeitmodellierung Eine Softwareidee |
[1] Die
Idee Eine Landschaft wie etwa die Euregio Maas-Rhein entlang der Zeitachse von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft hinein als virtuelle Realität und als Gegenstand differenzierter Gestaltungs- und Betrachtungsrechte zu modellieren ist der Kerngedanke dieser Idee. Einige als Gedankenspiel gehaltene Episoden einer nicht näher bestimmten Zukunft sollen den Gedanken anschaulich darstellen, zunächst ohne dabei auf Machbarkeiten einzugehen. [2] Der Tourist Ein Tourist wandert durch die Aachener Innenstadt und möchte sich einen Überblick über die Stadt sowie aktuelle Angebote verschaffen. Er begibt sich zu einer von vielen im Stadtgebiet verteilten Infosäulen. Dort verbindet er sich über einen kleinen Kopfhörer, eine Projektionsbrille, taktile Handschuhe, ein Mikrofon sowie drei ihn beobachtende Kameras mit dem Informationssystem. Auf seinen sprachlich geäußerten Wunsch, mehr über die Spuren des letzten Krieges zu erfahren, zeigt ihm das System per Projektionsbrille eine stereoskopische Schrägansicht des Aachener Stadtgebietes aus etwa 1500 m Höhe. Man erkennt einzelne Häuser, Verkehrswege und Bäche. Einige Objekte scheinen gleichsam in der Luft zu schweben: dies sind vom System vorgeschlagene Besuchsobjekte. Der Tourist benutzt seine taktilen Handschuhe sowie seine Sprache um mit einer virtuellen, durchsichtigen Hand bestimmte Objekte anzutippen. Daraufhin wird ihm, ebenfalls über der Stadtansicht schweben, eine Detailansicht von zum Beispiel einem Museum, sowie eine sprachliche Kurzinformation geliefert. Per Sprachbefehl vergegenständlicht sich der Besucher nun als Avatar in die Landschaft. Er kann sich jetzt über simulierte Gehbewegungen und Sprachbefehle in der Landschaft bewegen (die Sprach- und Bilderkennung der Informationssäule wertet sein Handeln entsprechend aus). So schreitet er vor den Eingang der Burg Frankenberg. Sein Versuch ins Innere des Gebäudes zu gelangen wird jedoch durch eine abgeschlossene Tür verhindert. Auf dieser Tür steht etwas von Eintrittspreisen. Der Tourist, dessen Identität inzwischen von einer Spracherkennung erkannt wurde, lässt per Sprachbefehl 15 Cent von seinem Konto abbuchen und gelangt in das Gebäude. Dort kann er einen Rundgang durch die Räume des Gebäudes machen und sich auch einige Exponate, näher angucken. Auf ähnliche Weise betrachtet sich der Tourist auch weitere historische Stätten wie etwa den Bunker in der Försterstraße am Lousberg, die Unterkunft von Anne Frank auf der Flucht ihrer Familie in die Niederlande oder manche Abschnitte des Westwalls. Am Westwall beschließt der Tourist, einen kurzen Exkurs in die Vergangenheit zu unternehmen. Er lässt 80 Cent von seinem Konto abbuchen und kann sich nun in bestimmte Zeiträume der Vergangenheit hineinbegeben, die im System als Bilder, Filme, Tonaufzeichnungen etc. detaillierter modelliert sind. So sieht er, wie im Frühjahr 1940 deutsche Truppen die Grenze zu den Niederlanden oder nach Belgien überschreiten, im Herbst 1944 amerikanische Panzer den Westwall durchdringen und in den 1950er Jahren massenweise Kaffeeschmuggler durch die Betonbarrieren schleichen. Nach insgesamt 4 Minuten hat der Tourist einen ausreichend guten Eindruck von der Stadt gewonnen, um daraus einen persönlichen Tagesplan für sich entwerfen zu können. Er sagt dem System, es solle ihm bestimmte Besichtigungspunkte als Tagesroute zusammen stellen und mit Hintergrundinformationen versehen. Der Tourist leiht sich für 1 Euro 50 Cent die Projektionsbrille und den Kopfhörer sowie die darin gespeicherte Information und beginnt seine Entdeckungsreise durch die Aachener Landschaft. [3] Die Bürgerbeteiligung Rat und Verwaltung der Gemeinde Herzogenrath möchten gemeinsam mit interessierten und betroffenen Bürgern, Unternehmen, Planungsbüros und Vereinen über die Pläne zum Um- oder Rückbau eines aufgegebenen Gewerbegebietes sprechen. In einem großen Konferenzsaal mit wandfüllenden Projektionsflächen sollen bestehende Konzepte besprochen und gegebenenfalls neue Vorstellungen entwickelt werden. Zunächst werden von einem Vertreter eines kommunalen Planungsdezernates Historie und Gegenwart des Gewerbegebietes vorgestellt. Der Vortragende veranlasst per Sprachsteuerung das System zur Darstellung einer Ansicht des betroffenen Gebietes aus dem Jahre 1750. Man sieht eine Auenlandschaft, Hügel, Bauerngehöfte. Der Eintritt in ein Bauernhaus zeigt eine ärmliche Einrichtung. Auf einem einfachen Bett liegt ein sterbender, alter Mann, auf einem Tisch ist eine karge Suppe zu erahnen. In Sprüngen von 50 Jahren zeigt der Vortragende nun die Entwicklung der Gegend hin zu heutigem Wohlstand auf. In der Gegenwart angelangt lässt der Referent einige verlassene Gewerbeflächen einblenden, er nimmt die Zuhörer mit hinein in bestimmte Firmen und zeigt ihnen Produktions- und Lagerhaltungsanlagen. In einer Luftaufnahme der Umgebung lässt er kurz, grafisch visualisiert, die heute noch in dem Gewerbegebiet arbeitenden Personen aufflackern. Nun stellen Vertreter verschiedener Planungsbüros grafisch visualisierte Versionen ihrer jeweiligen Vorhaben vor. Da sind große, futuristische Verwaltungsgebäude genau so zu sehen wie Erholungslandschaften, ein Freizeitpark oder ein Logistikzentrum für mannlose Lkws. Im Rahmen eines offen moderierten Gespräches stellt ein Teilnehmer nun die Frage nach dem Einfluss der Flächenversiegelung auf die Spitzenvolumenströme eines kleinen Baches. Mit Hilfe eines kleinen, per Sprache aufrufbaren Computerwerkzeuges werden für die verschiedenen Planungsvorschläge unterschiedliche Niederschlagszenarien durchgespielt und unmittelbar als realitätsnah visualisierte Wasserstandsschwankungen dargestellt. Spontane Fragen, etwa nach dem zu erwartenden Verkehrsaufkommen, nach Steuereinnahmen, Finanzierungsplänen oder Gesetzeslagen können ebenfalls mehr oder minder detailliert über sprachliche Anfragen an das System gestellt werden. Im Laufe des Gespräches werden zwei Planungsvarianten als besonders verfolgenswert herausgegriffen. In konsensorientierten Diskussionen werden Anordnungen von Gebäuden, Bushaltestellen, Parkplätze sowie Gastronomieangebote modelliert und vom Moderator unmittelbar als neue Planungsalternative in das System eingegeben. Im Hintergrund überprüfen überschlagsweise arbeitende Softwareroutinen die Praxistauglichkeit der Vorschläge: Ist der Untergrund ausreichend tragfähig, was sagt der Flächennutzungsplan zu einem Vorschlag, sind ausreichend Parkplätze vorhanden, werden Brandschutzvorschriften eingehalten, sind Abwasser-, Strom- und Gasversorgung sichergestellt, wie verhält es sich mit Schall- oder Staubemissionen bei verschiedenen Wetterlagen etc.? Zum Abschluss des Gespräches liegen zwei "begehbare" 3D-Varianten von Planungen vor, die nun gespeichert werden und von Fachleuten weiter verfolgt werden können. [4] Die Zeitreise Im Geschichtsunterricht soll in einer Eschweiler Klasse das 19. Jahrhundert behandelt werden. Im gemeinsamen Unterricht werden die groben Abläufe vorgestellt: Napoleonische Besetzung, Rheinbund, Beginn der industriellen Revolution, erste Eisenbahnen in der Region, Steinkohlenbergbau bei Eschweiler, beginnender Braunkohlenbergbau in der Region, deutsch-französischer Krieg und so weiter. Als Hausaufgabe erhalten die Schüler die Aufgabe, eine "Chronik des Alltages" zu schreiben. Sie sollen in der Form eines Tagebuches alltägliche Geschehnisse festhalten und dabei etwas über Ess- und Einkaufsgewohnheiten, über die Wegeverhältnisse, Krankheiten, Schule etc. der damaligen Zeit verraten. Um auf anschauliche Weise mehr über die Periode zu erfahren, verbinden sich die Schüler zuhause über verschiedene sinnesnahe Schnittstellen mit dem System, sodass sie sich letztendlich wie in einer virtuellen Realität in einer fremden Zeit aber in der eigenen Umgebung bewegen können. So erfährt ein Schüler, etwa, dass seine Wohngegend früher einmal versumpfter Untergrund war und im Hintergrund Fördergerüste und Halden erkennbar waren. Auf einem virtuellen Spaziergang durch einen kalten Winterwald begegnet ihm eine junge Familie, die ein Kleinkind durch den Wald in die Stadt trägt, um es dort dem Arzt zu zeigen. Das Kind leidet an starkem Fieber. Dann besucht der Schüler einen virtuellen Markt im Eschweiler des Jahres 1848. Er hört dort Menschen über politische Ereignisse aus dem fernen Frankfurt reden, er sieht, was es auf einem Markt damals alles zu kaufen gab (und was nicht!). Große Schwierigkeiten hat der Schüler jedoch, die Menschen zu verstehen, da er nicht ganz fest im örtlichen Dialekt ist und dieser sich wohl auch über die vergangenen Jahrzehnte geändert hat. Besonders aufregend ist es für den Schüler, einem seiner Vorfahren als jungem Lehrer in der örtlichen Schule zu begegnen. Der virtuelle Lehrer erwidert sogar eine Begrüßung des Besuchers, fährt aber ansonsten unbeeindruckt mit dem Unterricht fort. Aus all diesem Stoff fertigt der Schüler einen lebendigen Tagebuchauszug über drei Tage des Jahres 1848 in Eschweiler hinweg an. Diesen liest er in nächsten Geschichtsstunde in seiner Klasse vor und mit großem Interesse lauscht er ähnlichen Erzählungen seiner Mitschüler. [5] Der Einkaufsbummel Eine stark gehbehinderte alte Frau sitzt gemütlich in ihrem heimatlichen Wohnzimmer und verbindet sich über eine 3D-Projektionsbrille, einige sie beobachtende Kameras und Akustik-Geräte mit der virtuellen 3D-Euregio. Das "System" erkennt die Dame eindeutig anhand ihrer Gesichtszüge, ihrer Einwahlkonfiguration, ihrer Stimme und so weiter. Über das Mikrofon äußert die Dame den Wunsch, unmittelbar in den Dahmengraben zu gelangen. Kurz darauf spielt ihr die 3D-Projektionsbrille die aktuelle Sicht des Dahmengrabens in die Netzhaut ein. Die im Wohnzimmer der Frau installierten Kameras werten ihre Körperbewegungen aus und aktualisieren darauf hin die Ansicht. Per Sprachsteuerung oder über eine personalisierte Fingersymbolik kann sich die Frau in der Welt bewegen. Akustisch werden ihr die typischen Geräusche der Einkaufsstrasse angeboten. Kinoplakate, Schaufensteransichten, Baustellen, Witterung und das allgemeine menschliche Treiben werden über eng getaktete Videoauswertungen der realen Örtlichkeiten alle paar Minuten aktualisiert und in den Zeiten dazwischen vom System lebensnah emuliert. Die Dame betritt nun die virtuelle Filiale eines realen Geschenkartikelladens um nach einem passenden Geschenk für den Geburtstag ihres Schwiegersohnes zu suchen. Nachdem sie das Geschäft betreten hat äußert sie mündlich den Wunsch, bedient zu werden. Daraufhin organisiert das System im Hintergrund und für die Frau unsichtbar einen realen Call-Centre-Mitarbeiter der nun den Avatar des bisher nur sehr eingeschränkt interaktiv nutzbaren Verkäufers gleichermaßen "beseelt". Das System generiert jetzt eine eigene "Session" für die alte Dame und den Call-Centre-Mitarbeiter, die beide durch ansprechende Avatare in dem Geschäft veranschaulicht werden. So unterhalten sich nun zwei reale Menschen innerhalb der virtuellen Realität. Der Verkäufer fragt einfühlsam nach den Vorstellungen der Kundin und findet auch die Zeit für einen kleinen Plausch nebenher. Am Ende kommt es zum Kauf einer geschmackvollen, chinesischen Blumenvase, die am Geburtstag des Schwiegersohnes diesem unmittelbar in sein Haus angeliefert werden soll (und wird). Nach einigen weiteren kleinen Erledigungen trifft sich die alte Dame mit alten Bekannten im virtuellen Café van der Wael auf ein nettes Gespräch. Vertreten durch lebensecht modellierte Avatare und angekoppelt an die Kameras in den jeweiligen Wohnungen zuhause geben sich die Teilnehmer des Treffens gegenseitig den Eindruck echter Anwesenheit. Nebenbei kann die Dame noch zuhören, wie sich am Nachbartisch junge Leute, wahrscheinlich Studenten, über das aktuelle politische Geschehen unterhalten. Nach gut zwei Stunden in der virtuellen Welt entkoppelt sich die gute Frau sichtlich müde von dem System, holt sich ein Stück Kuchen aus dem Kühlschrank und schaltet zufrieden den Fernseher ein. Die Fahndung Bei einer routinemäßigen Fahrzeugkontrolle tritt der Fahrer eines angehaltenen Wagens plötzlich auf das Gaspedal und flüchtet über eine Landstraße vor den Beamten. Diese nehmen unmittelbar die Verfolgung auf, verlieren aber bereits nach kurzer Zeit den Sichtkontakt zu dem Fluchtwagen. Über spezielle Sichtbrillen schalten die Beamten dreidimensional überlagerte Informationen zu ihrem jeweiligen realen Sehfeld ein. So werden ihnen sofort zum Beispiel Sackgassen und Einbahnstraßen kenntlich gemacht. Per Sprachkommunikation geben die Beamten jetzt den Typen des Fluchtfahrzeuges sowie eine knappe Personenbeschreibung an "das System" durch. Dieses blendet daraufhin sofort alle denkbaren Flutwege des Wagens ein und zwar angepasst an den momentanen Ort des Verfolgungswagens. Aktuelle Baustellen, Umleitungen oder etwa auch umgestürzte Bäume werden dabei berücksichtigt. Das System benutzt einen vergangenheitsbezogenen Vergleich mit ähnlichen Vorfällen um Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Verhaltensvarianten der Fluchtperson zu ermitteln. Die Beamten erhalten daraufhin ständig aktualisierte Vorschläge für ihre weitere Suche. Im Winter würden etwa auch basierend auf aktuellen Wetter- und Verkehrsdaten die Fahrzeiten für vereiste Wege oder Steigungen berücksichtigt. Parallel wird eine Videofahndung ausgelöst, das heißt alle unter polizeilichem Zugriff befindlichen Kameras im potenziellen Fluchtraum "suchen" nach dem Fahrzeug oder der Fluchtperson. Wird das Fahrzeug geortet, werden automatisch zum Beispiel Schranken (Bahnübergänge, Parkplätze) niedergelassen, automatisch versenkte Poller von Fußgängerbereichen ausgefahren oder fahrerlose, ferngesteuerte Müllfahrzeuge "quergestellt". Nach bereits wenigen Minuten meldet das System, den Flüchtenden eindeutig im Bereich einer Fußgängerzone aufgestöbert zu haben. Er sei vor allem durch hektische Laufbewegungen aufgefallen. Aufgrund von Videonahaufnahmen kann das System ebenfalls eindeutig die Aussage treffen, dass der Mann nicht bewaffnet ist und einen erschöpften Eindruck macht. Nach kurzer Zeit bereits wird er von Polizisten gestellt. Das Fluchtfahrzeug findet sich nur wenige hundert Meter entfernt ordnungsgemäß geparkt am Straßenrand. [6] Das Unwetter Weitgehend unvorhergesehen hatte sich das Unwetter über dem Dreiländereck zusammengebraut. In nur einer halben Stunden fielen dann an manchen Stellen über 240 Liter Niederschlag (???) pro Quadratmeter. In Senken entstanden Seen, Keller wurden überflutet, es ereigneten sich zahlreiche, zum Teil schwere, Unfälle. Entwurzelte Bäume sperrten Straßen und Eisenbahnverbindungen, Blitzeinschläge beschädigten die Stromversorgung, Rettungshubschrauber mussten aufgrund anhaltend starker Böen am Boden bleiben, manche Fahrwege und Eisenbahngleise wurden unterspült, kleine Steinbrüche liefen voll Wasser, in Stadtgebiet von Plombières ist ein schlecht gesicherter Baukran auf eine Transformatorstation gestürzt, Kläranlagen konnten das zulaufende Wasser nicht mehr fassen. Gerüchte von Plünderungen in den Supermärkten von Vaals und Kelmis machten die Runde. Die Telefonleitungen der Feuerwehren, Rettungszentralen, Polizeidienststellen und Krankenhäuser waren heillos überlastet. Funktelefonnetze brachen unter den vielen Privatgesprächen zusammen, darüber hinaus wurde die Kommunikationsinfrastruktur auch durch Sachschäden bedingt geschwächt. Eine schnelle Bestandsaufnahme der Zustände in dem Gebiet zwischen Aachen, Gulden, Plombières und Eugen sowie eine darauf aufbauende Koordination aller beteiligten Akteure ist von großer Dringlichkeit. Eine mehr oder minder aktuelle, dreidimensionale Ansicht der Zustände rund um das Dreiländereck wird nun in verschiedenen Auflösungen und mit verschiedenen thematischen Auswertungen überlagert von verschiedenen Person oder Gruppen genutzt: Im Leitstand der freiwilligen Feuerwehr von Laurensberg wird auf einer 5x2 m² großen Projektionsfläche eine photorealistische Darstellung des Aachener Westens eingeblendet. Minütlich aktualisierte Messdaten von Kanaldurchflüssen oder Pegelmessungen zeichnen ein klares Bild. Über GPS erfasste Standorte von Einsatzfahrzeugen verschiedener Feuerwehren geben einen Hinweis auf laufende Aktivitäten. Überschlagsweise Berechnungen des Systems und vergleichende Auswertungen vergangenheitsbezogener Daten erzeugen Sichten auf zukünftige Zustände: Wasserstände, Erschöpfungszustände des Hilfspersonals, geschätzte Wiederinbetriebnahme der Stromversorgung etc. Der Einsatzleiter entschließt sich zu einer "virtuellen Begehung" der Gegend um Vaals. Über sinnesnahe Schnittstellen (Datenhandschuh, Visorbrille, immersive Akustik etc.) begibt er sich als Avatar ins System und läuft bzw. schwebt von Seffent Richtung Vaals. Im Polizeigebäude von Vaals, am westlichen Ortsausgang, trifft er sich mit ebenfalls als Avataren dargestellten Personen und bietet seine Hilfe an, in den Notstandsgebieten rund um den Geulbach tätig zu werden. Gemeinsam betrachten sich die Gesprächsteilnehmer ein aktuelles Bild der Landschaft im Detail: In Vaals liegen mehrere Platanen quer über der Maastrichterlaan. Dies ist nur ein kleines Hindernis und so wie es aussieht (Videobilder vom Postgebäude aus) bemühen sich gerade schon Privatpersonen erfolgreich um eine Beseitigung der Bäume. Problematischer scheint ein umgekippter Milchtanker auf der Verbindung von Lemiers nach Partij zu sein. Eine Satellitennahaufnahme zeigt die Unfallszenerie in groben Zügen, doch ist Näheres nicht zu erkennen. Auch zeigt die 3D-Landschaft keine nutzbare Umfahrungsmöglichkeit in unmittelbarer Nähe. Vom System als Alternativrouten eingeblendete Feldwege über Richterich und Bocholtz scheinen aufgrund ständig einlaufender Meldungen von massiven Ausspülungen steiler Wegabschnitte fragwürdig zu sein. Nach insgesamt erst 36 Stunden scheint sich die Lage wieder vollständig zu normalisieren. Die digital verfügbaren Aufzeichnungen der Geschehnisse sind nun Gegenstand intensiver Auswertungen seitens aller beteiligten Akteure. In VR-Caves gehen Polizisten, Feuerwehrleute, engagierte Bürger, Rettungssanitäter, Verwaltungsfachleute und Politiker einzelne Stadien des Geschehens detailliert durch. Sie versuchen Verbesserungsmöglichkeiten in den Kommunikationsstrukturen zu finden, überprüfen Einsatzpläne und Telefonlisten auf ihre Aktualität und sie fertigen ein Dossier an, welches als Grundlage mit einem Erfahrungsaustausch anderer Regionen dienen kann. Die Ereignisse dieser Tage werden darüber hinaus auch so aufbereitet, dass sie als virtuelle Realität von beliebigen Personen betrachtet werden können. [7] Das Rollenspiel Jeden Freitag Abend trifft sich eine Gruppe von etwa 8 Erwachsenen verschiedenster beruflicher Hintergründe zu einer Art Rollenspiel. Aus dem 3D-Raumzeitmodell der Euregio wählen sich die Mitspieler einen bestimmten Zeitpunkt aus, zum Beispiel den Mittag des 14. November 1642. Aus historischen Quellen konnten mit großer Wahrheitstreue bereits sehr viele Personen rekonstruiert werden. Diese Personen sind als lebensechte Figuren im System gespeichert. Da gab es zum Beispiel einen Hinrich Cuvier, der in der Schmiedgasse wohnte, damals 34 Jahre alt und noch unverheiratet war und zu jenem Zeitpunkt gerade in einen Rechtsstreit wegen einer Erbsache verwickelt war. Dieser Hinrich Cuvier taucht 8 Jahre später als Stadtrat in einem kleinen elsässischen Ort wieder auf. Mit ebenfalls großer Sicherheit konnte die Figur der jugendlichen Anna Kleister rekonstruiert werden. Anna Kleister fiel damals bereits in der Schule als wissbegierig auf (so vermeldet es ein Schulregister) und es existieren Dokumente die belegen, dass sie sich mehrfach als Naturzeichnerin auf eine von der Kaufmannsfamilie Welser geplante Südamerikaexpedition beworben hatte. Mit vielen gesicherten Details liegen die naturgetreuen virtuellen Abbilder von Bürgermeistern, Stadträten, Architekten, Feldherren und so weiter vor. Jeder der Mitspieler sucht sich nun eine solche mehr oder minder genau nachmodellierte Persönlichkeit des Jahres 1642 aus und schlüpft in deren Rolle. Ziel des Spieles ist es, durch plausible Geschehnisse Lücken in den Biographien aufzufüllen und die Personen treffsicher bis zu einem Zeitpunkt zu spielen, in dem wieder gesicherte Erkenntnisse über sie vorliegen. Die Spieler beginnen nun also Briefe untereinander zu schreiben, sie gehen Rechtsverhältnisse ein, unternehmen Reisen, heiraten, fangen in einer Schänke eine Schlägerei an und werden dann dem Richter vorgeführt, sie erben und erziehen Kinder. Alle diese Handlungen werden innerhalb der virtuellen Welt ausgeführt und diese virtuelle Welt überprüft - soweit möglich - die Zulässigkeit bestimmter Aktionen. So wird etwa ein Brief in dem die Südseeinsel Hawai genannt wird nicht akzeptiert, da diese Insel erst im folgenden Jahrhundert entdeckt wurde. Und eine Dreitagesreise von Lüttich nach Krakau wird ebenso verworfen wie die Verwendung damals nicht gebräuchlicher Münzen, Maßeinheiten oder Begriffe. Das Ergebnis des Abends sind mehr oder minder plausible Episoden aus dem Leben realer Menschen. Die Episoden werden vom System gespeichert und unter Umständen professionellen Historikern zur Begutachtung vorgelegt. Nicht selten wurden bei solchen Gelegenheiten fehlerhafte Quellen oder Interpretationen erkannt sowie wertvolle Hinweise auf postulierte Ereignisse geliefert, die nicht selten eine fruchtbare Neubewertung alter Quellen veranlassten. Durch ein hohes Maß an Professionalität und einen guten, internationalen Ruf gelang es manchen Rollenspielergemeinschaften sogar, den Sprung vom Amateuersdasein zu "Senior Professionals in Emulated History" zu schaffen und somit ihr Hobby zu einem Beruf zu machen. [8] Der potenzielle Nutzen Die oben angeführten Einzelbeispiele sollten nur auf anschauliche und beispielhafte Weise denkbare Anwendungsmöglichkeiten einer raumzeitlich als Virtual Reality modellierten Region aufzeigen. In einer etwas abstrakteren Form lässt sich der Nutzen unter anderem durch die folgende Stichworte andeuten:
[9] Liste beispielhaft offener Punkte Der Gedanken raumzeitbasierter Informationsräume ist nicht neu und Teillösungen auf einem Weg hin zu Systemen wie dem oben vorgestellten sind Gegenstand laufender Forschung und Entwicklung. Aus technischer Sicht sind in den kommenden Jahren große Fortschritte zu erwarten. Methoden der Virtuellen Realität, die unmittelbare Kopplung von Sinneszellen mit Softwaresystemen sowie die zunehmende Durchdringung der dinglichen Realität mit Sensoren im weitesten Sinne lassen die technische Machbarkeit quasi-realer virtueller Räume zunehmend realistisch erscheinen. Wesentliche Impulse dürften diesbezüglich insbesondere von der Unterhaltungsindustrie sowie militärischen Anwendungen ausgehen. [10] Es sind weniger die technischen Probleme als vielmehr die oranisatorisch-administrativen Fragestellen, die Fragen nach dem Sollverhalten einer Gesamtlösung, die nicht zu unterschätzende Probleme aufwerfen. Die folgende Liste von Detailfragen kann den Umfang der Probleme sowie die Notwendigkeit eines zu entwerfenden Gestaltungsparadigmas für VR-Realitäten nur ansatzweise andeuten:
[11] Neben den konkreten Fragen einer softwaretechnischen Umsetzung ist aber auch die Wirkung eines solchen Systems auf die reale Welt zu untersuchen:
[12] Welche Formen einer geldwerten Entlohnung sind für die Mitgestalter dieser virtuellen Welten denkbar? Bieten solche Welten eine Möglichkeit, gesellschaftliche, kulturelle Wissensarbeit angemessen zu ökonomisieren? Sollte man die Teilnahme an prognoseorientierte Börsensimulationen gegen Entlohnung vorsehen? Sollte die Erkennung und Nennung inkonsistenter Daten entlohnt werden? Sollte man die Möglichkeit virtueller Kunst vorsehen? Sollte es also möglich sein, gegen Bezahlung durch eine Privatkunden dessen Häuserfassade mit einem virtuellen Kunstwerk zu verzieren? Inwiefern ist der Gedanke von virtuellen Geschichtenerzählern, die von lebenden Menschen gesteuert werden und interaktiv auf ihre Zuhörer eingehen können, verfolgenswert? Ließe sich Geld mit dem Übersetzen der Rede modellierter Figuren, gegebenenfalls auch simultan, in andere Sprachen erzielen? Wären Hobbyeisenbahner einer lukrativer Markt für virtuelle Modelleisenbahnen bzw. deren Gestaltung? |