Eine Region in Raumzeitmodellierung

Eine Softwareidee
April 2003

[1] Die Idee

Eine Landschaft wie etwa die Euregio Maas-Rhein entlang der Zeitachse von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft hinein als virtuelle Realität und als Gegenstand differenzierter Gestaltungs- und Betrachtungsrechte zu modellieren ist der Kerngedanke dieser Idee.

Einige als Gedankenspiel gehaltene Episoden einer nicht näher bestimmten Zukunft sollen den Gedanken anschaulich darstellen, zunächst ohne dabei auf Machbarkeiten einzugehen.

[2] Der Tourist

Ein Tourist wandert durch die Aachener Innenstadt und möchte sich einen Überblick über die Stadt sowie aktuelle Angebote verschaffen. Er begibt sich zu einer von vielen im Stadtgebiet verteilten Infosäulen. Dort verbindet er sich über einen kleinen Kopfhörer, eine Projektionsbrille, taktile Handschuhe, ein Mikrofon sowie drei ihn beobachtende Kameras mit dem Informationssystem. Auf seinen sprachlich geäußerten Wunsch, mehr über die Spuren des letzten Krieges zu erfahren, zeigt ihm das System per Projektionsbrille eine stereoskopische Schrägansicht des Aachener Stadtgebietes aus etwa 1500 m Höhe. Man erkennt einzelne Häuser, Verkehrswege und Bäche. Einige Objekte scheinen gleichsam in der Luft zu schweben: dies sind vom System vorgeschlagene Besuchsobjekte. Der Tourist benutzt seine taktilen Handschuhe sowie seine Sprache um mit einer virtuellen, durchsichtigen Hand bestimmte Objekte anzutippen. Daraufhin wird ihm, ebenfalls über der Stadtansicht schweben, eine Detailansicht von zum Beispiel einem Museum, sowie eine sprachliche Kurzinformation geliefert. Per Sprachbefehl vergegenständlicht sich der Besucher nun als Avatar in die Landschaft. Er kann sich jetzt über simulierte Gehbewegungen und Sprachbefehle in der Landschaft bewegen (die Sprach- und Bilderkennung der Informationssäule wertet sein Handeln entsprechend aus). So schreitet er vor den Eingang der Burg Frankenberg. Sein Versuch ins Innere des Gebäudes zu gelangen wird jedoch durch eine abgeschlossene Tür verhindert. Auf dieser Tür steht etwas von Eintrittspreisen. Der Tourist, dessen Identität inzwischen von einer Spracherkennung erkannt wurde, lässt per Sprachbefehl 15 Cent von seinem Konto abbuchen und gelangt in das Gebäude. Dort kann er einen Rundgang durch die Räume des Gebäudes machen und sich auch einige Exponate, näher angucken. Auf ähnliche Weise betrachtet sich der Tourist auch weitere historische Stätten wie etwa den Bunker in der Försterstraße am Lousberg, die Unterkunft von Anne Frank auf der Flucht ihrer Familie in die Niederlande oder manche Abschnitte des Westwalls. Am Westwall beschließt der Tourist, einen kurzen Exkurs in die Vergangenheit zu unternehmen. Er lässt 80 Cent von seinem Konto abbuchen und kann sich nun in bestimmte Zeiträume der Vergangenheit hineinbegeben, die im System als Bilder, Filme, Tonaufzeichnungen etc. detaillierter modelliert sind. So sieht er, wie im Frühjahr 1940 deutsche Truppen die Grenze zu den Niederlanden oder nach Belgien überschreiten, im Herbst 1944 amerikanische Panzer den Westwall durchdringen und in den 1950er Jahren massenweise Kaffeeschmuggler durch die Betonbarrieren schleichen. Nach insgesamt 4 Minuten hat der Tourist einen ausreichend guten Eindruck von der Stadt gewonnen, um daraus einen persönlichen Tagesplan für sich entwerfen zu können. Er sagt dem System, es solle ihm bestimmte Besichtigungspunkte als Tagesroute zusammen stellen und mit Hintergrundinformationen versehen. Der Tourist leiht sich für 1 Euro 50 Cent die Projektionsbrille und den Kopfhörer sowie die darin gespeicherte Information und beginnt seine Entdeckungsreise durch die Aachener Landschaft.

[3] Die Bürgerbeteiligung

Rat und Verwaltung der Gemeinde Herzogenrath möchten gemeinsam mit interessierten und betroffenen Bürgern, Unternehmen, Planungsbüros und Vereinen über die Pläne zum Um- oder Rückbau eines aufgegebenen Gewerbegebietes sprechen. In einem großen Konferenzsaal mit wandfüllenden Projektionsflächen sollen bestehende Konzepte besprochen und gegebenenfalls neue Vorstellungen entwickelt werden. Zunächst werden von einem Vertreter eines kommunalen Planungsdezernates Historie und Gegenwart des Gewerbegebietes vorgestellt. Der Vortragende veranlasst per Sprachsteuerung das System zur Darstellung einer Ansicht des betroffenen Gebietes aus dem Jahre 1750. Man sieht eine Auenlandschaft, Hügel, Bauerngehöfte. Der Eintritt in ein Bauernhaus zeigt eine ärmliche Einrichtung. Auf einem einfachen Bett liegt ein sterbender, alter Mann, auf einem Tisch ist eine karge Suppe zu erahnen. In Sprüngen von 50 Jahren zeigt der Vortragende nun die Entwicklung der Gegend hin zu heutigem Wohlstand auf. In der Gegenwart angelangt lässt der Referent einige verlassene Gewerbeflächen einblenden, er nimmt die Zuhörer mit hinein in bestimmte Firmen und zeigt ihnen Produktions- und Lagerhaltungsanlagen. In einer Luftaufnahme der Umgebung lässt er kurz, grafisch visualisiert, die heute noch in dem Gewerbegebiet arbeitenden Personen aufflackern. Nun stellen Vertreter verschiedener Planungsbüros grafisch visualisierte Versionen ihrer jeweiligen Vorhaben vor. Da sind große, futuristische Verwaltungsgebäude genau so zu sehen wie Erholungslandschaften, ein Freizeitpark oder ein Logistikzentrum für mannlose Lkws. Im Rahmen eines offen moderierten Gespräches stellt ein Teilnehmer nun die Frage nach dem Einfluss der Flächenversiegelung auf die Spitzenvolumenströme eines kleinen Baches. Mit Hilfe eines kleinen, per Sprache aufrufbaren Computerwerkzeuges werden für die verschiedenen Planungsvorschläge unterschiedliche Niederschlagszenarien durchgespielt und unmittelbar als realitätsnah visualisierte Wasserstandsschwankungen dargestellt. Spontane Fragen, etwa nach dem zu erwartenden Verkehrsaufkommen, nach Steuereinnahmen, Finanzierungsplänen oder Gesetzeslagen können ebenfalls mehr oder minder detailliert über sprachliche Anfragen an das System gestellt werden. Im Laufe des Gespräches werden zwei Planungsvarianten als besonders verfolgenswert herausgegriffen. In konsensorientierten Diskussionen werden Anordnungen von Gebäuden, Bushaltestellen, Parkplätze sowie Gastronomieangebote modelliert und vom Moderator unmittelbar als neue Planungsalternative in das System eingegeben. Im Hintergrund überprüfen überschlagsweise arbeitende Softwareroutinen die Praxistauglichkeit der Vorschläge: Ist der Untergrund ausreichend tragfähig, was sagt der Flächennutzungsplan zu einem Vorschlag, sind ausreichend Parkplätze vorhanden, werden Brandschutzvorschriften eingehalten, sind Abwasser-, Strom- und Gasversorgung sichergestellt, wie verhält es sich mit Schall- oder Staubemissionen bei verschiedenen Wetterlagen etc.? Zum Abschluss des Gespräches liegen zwei "begehbare" 3D-Varianten von Planungen vor, die nun gespeichert werden und von Fachleuten weiter verfolgt werden können.

[4] Die Zeitreise

Im Geschichtsunterricht soll in einer Eschweiler Klasse das 19. Jahrhundert behandelt werden. Im gemeinsamen Unterricht werden die groben Abläufe vorgestellt: Napoleonische Besetzung, Rheinbund, Beginn der industriellen Revolution, erste Eisenbahnen in der Region, Steinkohlenbergbau bei Eschweiler, beginnender Braunkohlenbergbau in der Region, deutsch-französischer Krieg und so weiter. Als Hausaufgabe erhalten die Schüler die Aufgabe, eine "Chronik des Alltages" zu schreiben. Sie sollen in der Form eines Tagebuches alltägliche Geschehnisse festhalten und dabei etwas über Ess- und Einkaufsgewohnheiten, über die Wegeverhältnisse, Krankheiten, Schule etc. der damaligen Zeit verraten. Um auf anschauliche Weise mehr über die Periode zu erfahren, verbinden sich die Schüler zuhause über verschiedene sinnesnahe Schnittstellen mit dem System, sodass sie sich letztendlich wie in einer virtuellen Realität in einer fremden Zeit aber in der eigenen Umgebung bewegen können. So erfährt ein Schüler, etwa, dass seine Wohngegend früher einmal versumpfter Untergrund war und im Hintergrund Fördergerüste und Halden erkennbar waren. Auf einem virtuellen Spaziergang durch einen kalten Winterwald begegnet ihm eine junge Familie, die ein Kleinkind durch den Wald in die Stadt trägt, um es dort dem Arzt zu zeigen. Das Kind leidet an starkem Fieber. Dann besucht der Schüler einen virtuellen Markt im Eschweiler des Jahres 1848. Er hört dort Menschen über politische Ereignisse aus dem fernen Frankfurt reden, er sieht, was es auf einem Markt damals alles zu kaufen gab (und was nicht!). Große Schwierigkeiten hat der Schüler jedoch, die Menschen zu verstehen, da er nicht ganz fest im örtlichen Dialekt ist und dieser sich wohl auch über die vergangenen Jahrzehnte geändert hat. Besonders aufregend ist es für den Schüler, einem seiner Vorfahren als jungem Lehrer in der örtlichen Schule zu begegnen. Der virtuelle Lehrer erwidert sogar eine Begrüßung des Besuchers, fährt aber ansonsten unbeeindruckt mit dem Unterricht fort. Aus all diesem Stoff fertigt der Schüler einen lebendigen Tagebuchauszug über drei Tage des Jahres 1848 in Eschweiler hinweg an. Diesen liest er in nächsten Geschichtsstunde in seiner Klasse vor und mit großem Interesse lauscht er ähnlichen Erzählungen seiner Mitschüler.

[5] Der Einkaufsbummel

Eine stark gehbehinderte alte Frau sitzt gemütlich in ihrem heimatlichen Wohnzimmer und verbindet sich über eine 3D-Projektionsbrille, einige sie beobachtende Kameras und Akustik-Geräte mit der virtuellen 3D-Euregio. Das "System" erkennt die Dame eindeutig anhand ihrer Gesichtszüge, ihrer Einwahlkonfiguration, ihrer Stimme und so weiter. Über das Mikrofon äußert die Dame den Wunsch, unmittelbar in den Dahmengraben zu gelangen. Kurz darauf spielt ihr die 3D-Projektionsbrille die aktuelle Sicht des Dahmengrabens in die Netzhaut ein. Die im Wohnzimmer der Frau installierten Kameras werten ihre Körperbewegungen aus und aktualisieren darauf hin die Ansicht. Per Sprachsteuerung oder über eine personalisierte Fingersymbolik kann sich die Frau in der Welt bewegen. Akustisch werden ihr die typischen Geräusche der Einkaufsstrasse angeboten. Kinoplakate, Schaufensteransichten, Baustellen, Witterung und das allgemeine menschliche Treiben werden über eng getaktete Videoauswertungen der realen Örtlichkeiten alle paar Minuten aktualisiert und in den Zeiten dazwischen vom System lebensnah emuliert. Die Dame betritt nun die virtuelle Filiale eines realen Geschenkartikelladens um nach einem passenden Geschenk für den Geburtstag ihres Schwiegersohnes zu suchen. Nachdem sie das Geschäft betreten hat äußert sie mündlich den Wunsch, bedient zu werden. Daraufhin organisiert das System im Hintergrund und für die Frau unsichtbar einen realen Call-Centre-Mitarbeiter der nun den Avatar des bisher nur sehr eingeschränkt interaktiv nutzbaren Verkäufers gleichermaßen "beseelt". Das System generiert jetzt eine eigene "Session" für die alte Dame und den Call-Centre-Mitarbeiter, die beide durch ansprechende Avatare in dem Geschäft veranschaulicht werden. So unterhalten sich nun zwei reale Menschen innerhalb der virtuellen Realität. Der Verkäufer fragt einfühlsam nach den Vorstellungen der Kundin und findet auch die Zeit für einen kleinen Plausch nebenher. Am Ende kommt es zum Kauf einer geschmackvollen, chinesischen Blumenvase, die am Geburtstag des Schwiegersohnes diesem unmittelbar in sein Haus angeliefert werden soll (und wird). Nach einigen weiteren kleinen Erledigungen trifft sich die alte Dame mit alten Bekannten im virtuellen Café van der Wael auf ein nettes Gespräch. Vertreten durch lebensecht modellierte Avatare und angekoppelt an die Kameras in den jeweiligen Wohnungen zuhause geben sich die Teilnehmer des Treffens gegenseitig den Eindruck echter Anwesenheit. Nebenbei kann die Dame noch zuhören, wie sich am Nachbartisch junge Leute, wahrscheinlich Studenten, über das aktuelle politische Geschehen unterhalten. Nach gut zwei Stunden in der virtuellen Welt entkoppelt sich die gute Frau sichtlich müde von dem System, holt sich ein Stück Kuchen aus dem Kühlschrank und schaltet zufrieden den Fernseher ein.

Die Fahndung

Bei einer routinemäßigen Fahrzeugkontrolle tritt der Fahrer eines angehaltenen Wagens plötzlich auf das Gaspedal und flüchtet über eine Landstraße vor den Beamten. Diese nehmen unmittelbar die Verfolgung auf, verlieren aber bereits nach kurzer Zeit den Sichtkontakt zu dem Fluchtwagen. Über spezielle Sichtbrillen schalten die Beamten dreidimensional überlagerte Informationen zu ihrem jeweiligen realen Sehfeld ein. So werden ihnen sofort zum Beispiel Sackgassen und Einbahnstraßen kenntlich gemacht. Per Sprachkommunikation geben die Beamten jetzt den Typen des Fluchtfahrzeuges sowie eine knappe Personenbeschreibung an "das System" durch. Dieses blendet daraufhin sofort alle denkbaren Flutwege des Wagens ein und zwar angepasst an den momentanen Ort des Verfolgungswagens. Aktuelle Baustellen, Umleitungen oder etwa auch umgestürzte Bäume werden dabei berücksichtigt. Das System benutzt einen vergangenheitsbezogenen Vergleich mit ähnlichen Vorfällen um Wahrscheinlichkeiten für verschiedene Verhaltensvarianten der Fluchtperson zu ermitteln. Die Beamten erhalten daraufhin ständig aktualisierte Vorschläge für ihre weitere Suche. Im Winter würden etwa auch basierend auf aktuellen Wetter- und Verkehrsdaten die Fahrzeiten für vereiste Wege oder Steigungen berücksichtigt. Parallel wird eine Videofahndung ausgelöst, das heißt alle unter polizeilichem Zugriff befindlichen Kameras im potenziellen Fluchtraum "suchen" nach dem Fahrzeug oder der Fluchtperson. Wird das Fahrzeug geortet, werden automatisch zum Beispiel Schranken (Bahnübergänge, Parkplätze) niedergelassen, automatisch versenkte Poller von Fußgängerbereichen ausgefahren oder fahrerlose, ferngesteuerte Müllfahrzeuge "quergestellt". Nach bereits wenigen Minuten meldet das System, den Flüchtenden eindeutig im Bereich einer Fußgängerzone aufgestöbert zu haben. Er sei vor allem durch hektische Laufbewegungen aufgefallen. Aufgrund von Videonahaufnahmen kann das System ebenfalls eindeutig die Aussage treffen, dass der Mann nicht bewaffnet ist und einen erschöpften Eindruck macht. Nach kurzer Zeit bereits wird er von Polizisten gestellt. Das Fluchtfahrzeug findet sich nur wenige hundert Meter entfernt ordnungsgemäß geparkt am Straßenrand.

[6] Das Unwetter

Weitgehend unvorhergesehen hatte sich das Unwetter über dem Dreiländereck zusammengebraut. In nur einer halben Stunden fielen dann an manchen Stellen über 240 Liter Niederschlag (???) pro Quadratmeter. In Senken entstanden Seen, Keller wurden überflutet, es ereigneten sich zahlreiche, zum Teil schwere, Unfälle. Entwurzelte Bäume sperrten Straßen und Eisenbahnverbindungen, Blitzeinschläge beschädigten die Stromversorgung, Rettungshubschrauber mussten aufgrund anhaltend starker Böen am Boden bleiben, manche Fahrwege und Eisenbahngleise wurden unterspült, kleine Steinbrüche liefen voll Wasser, in Stadtgebiet von Plombières ist ein schlecht gesicherter Baukran auf eine Transformatorstation gestürzt, Kläranlagen konnten das zulaufende Wasser nicht mehr fassen. Gerüchte von Plünderungen in den Supermärkten von Vaals und Kelmis machten die Runde. Die Telefonleitungen der Feuerwehren, Rettungszentralen, Polizeidienststellen und Krankenhäuser waren heillos überlastet. Funktelefonnetze brachen unter den vielen Privatgesprächen zusammen, darüber hinaus wurde die Kommunikationsinfrastruktur auch durch Sachschäden bedingt geschwächt. Eine schnelle Bestandsaufnahme der Zustände in dem Gebiet zwischen Aachen, Gulden, Plombières und Eugen sowie eine darauf aufbauende Koordination aller beteiligten Akteure ist von großer Dringlichkeit. Eine mehr oder minder aktuelle, dreidimensionale Ansicht der Zustände rund um das Dreiländereck wird nun in verschiedenen Auflösungen und mit verschiedenen thematischen Auswertungen überlagert von verschiedenen Person oder Gruppen genutzt: Im Leitstand der freiwilligen Feuerwehr von Laurensberg wird auf einer 5x2 m² großen Projektionsfläche eine photorealistische Darstellung des Aachener Westens eingeblendet. Minütlich aktualisierte Messdaten von Kanaldurchflüssen oder Pegelmessungen zeichnen ein klares Bild. Über GPS erfasste Standorte von Einsatzfahrzeugen verschiedener Feuerwehren geben einen Hinweis auf laufende Aktivitäten. Überschlagsweise Berechnungen des Systems und vergleichende Auswertungen vergangenheitsbezogener Daten erzeugen Sichten auf zukünftige Zustände: Wasserstände, Erschöpfungszustände des Hilfspersonals, geschätzte Wiederinbetriebnahme der Stromversorgung etc. Der Einsatzleiter entschließt sich zu einer "virtuellen Begehung" der Gegend um Vaals. Über sinnesnahe Schnittstellen (Datenhandschuh, Visorbrille, immersive Akustik etc.) begibt er sich als Avatar ins System und läuft bzw. schwebt von Seffent Richtung Vaals. Im Polizeigebäude von Vaals, am westlichen Ortsausgang, trifft er sich mit ebenfalls als Avataren dargestellten Personen und bietet seine Hilfe an, in den Notstandsgebieten rund um den Geulbach tätig zu werden. Gemeinsam betrachten sich die Gesprächsteilnehmer ein aktuelles Bild der Landschaft im Detail: In Vaals liegen mehrere Platanen quer über der Maastrichterlaan. Dies ist nur ein kleines Hindernis und so wie es aussieht (Videobilder vom Postgebäude aus) bemühen sich gerade schon Privatpersonen erfolgreich um eine Beseitigung der Bäume. Problematischer scheint ein umgekippter Milchtanker auf der Verbindung von Lemiers nach Partij zu sein. Eine Satellitennahaufnahme zeigt die Unfallszenerie in groben Zügen, doch ist Näheres nicht zu erkennen. Auch zeigt die 3D-Landschaft keine nutzbare Umfahrungsmöglichkeit in unmittelbarer Nähe. Vom System als Alternativrouten eingeblendete Feldwege über Richterich und Bocholtz scheinen aufgrund ständig einlaufender Meldungen von massiven Ausspülungen steiler Wegabschnitte fragwürdig zu sein. Nach insgesamt erst 36 Stunden scheint sich die Lage wieder vollständig zu normalisieren. Die digital verfügbaren Aufzeichnungen der Geschehnisse sind nun Gegenstand intensiver Auswertungen seitens aller beteiligten Akteure. In VR-Caves gehen Polizisten, Feuerwehrleute, engagierte Bürger, Rettungssanitäter, Verwaltungsfachleute und Politiker einzelne Stadien des Geschehens detailliert durch. Sie versuchen Verbesserungsmöglichkeiten in den Kommunikationsstrukturen zu finden, überprüfen Einsatzpläne und Telefonlisten auf ihre Aktualität und sie fertigen ein Dossier an, welches als Grundlage mit einem Erfahrungsaustausch anderer Regionen dienen kann. Die Ereignisse dieser Tage werden darüber hinaus auch so aufbereitet, dass sie als virtuelle Realität von beliebigen Personen betrachtet werden können.

[7] Das Rollenspiel

Jeden Freitag Abend trifft sich eine Gruppe von etwa 8 Erwachsenen verschiedenster beruflicher Hintergründe zu einer Art Rollenspiel. Aus dem 3D-Raumzeitmodell der Euregio wählen sich die Mitspieler einen bestimmten Zeitpunkt aus, zum Beispiel den Mittag des 14. November 1642. Aus historischen Quellen konnten mit großer Wahrheitstreue bereits sehr viele Personen rekonstruiert werden. Diese Personen sind als lebensechte Figuren im System gespeichert. Da gab es zum Beispiel einen Hinrich Cuvier, der in der Schmiedgasse wohnte, damals 34 Jahre alt und noch unverheiratet war und zu jenem Zeitpunkt gerade in einen Rechtsstreit wegen einer Erbsache verwickelt war. Dieser Hinrich Cuvier taucht 8 Jahre später als Stadtrat in einem kleinen elsässischen Ort wieder auf. Mit ebenfalls großer Sicherheit konnte die Figur der jugendlichen Anna Kleister rekonstruiert werden. Anna Kleister fiel damals bereits in der Schule als wissbegierig auf (so vermeldet es ein Schulregister) und es existieren Dokumente die belegen, dass sie sich mehrfach als Naturzeichnerin auf eine von der Kaufmannsfamilie Welser geplante Südamerikaexpedition beworben hatte. Mit vielen gesicherten Details liegen die naturgetreuen virtuellen Abbilder von Bürgermeistern, Stadträten, Architekten, Feldherren und so weiter vor. Jeder der Mitspieler sucht sich nun eine solche mehr oder minder genau nachmodellierte Persönlichkeit des Jahres 1642 aus und schlüpft in deren Rolle. Ziel des Spieles ist es, durch plausible Geschehnisse Lücken in den Biographien aufzufüllen und die Personen treffsicher bis zu einem Zeitpunkt zu spielen, in dem wieder gesicherte Erkenntnisse über sie vorliegen. Die Spieler beginnen nun also Briefe untereinander zu schreiben, sie gehen Rechtsverhältnisse ein, unternehmen Reisen, heiraten, fangen in einer Schänke eine Schlägerei an und werden dann dem Richter vorgeführt, sie erben und erziehen Kinder. Alle diese Handlungen werden innerhalb der virtuellen Welt ausgeführt und diese virtuelle Welt überprüft - soweit möglich - die Zulässigkeit bestimmter Aktionen. So wird etwa ein Brief in dem die Südseeinsel Hawai genannt wird nicht akzeptiert, da diese Insel erst im folgenden Jahrhundert entdeckt wurde. Und eine Dreitagesreise von Lüttich nach Krakau wird ebenso verworfen wie die Verwendung damals nicht gebräuchlicher Münzen, Maßeinheiten oder Begriffe. Das Ergebnis des Abends sind mehr oder minder plausible Episoden aus dem Leben realer Menschen. Die Episoden werden vom System gespeichert und unter Umständen professionellen Historikern zur Begutachtung vorgelegt. Nicht selten wurden bei solchen Gelegenheiten fehlerhafte Quellen oder Interpretationen erkannt sowie wertvolle Hinweise auf postulierte Ereignisse geliefert, die nicht selten eine fruchtbare Neubewertung alter Quellen veranlassten. Durch ein hohes Maß an Professionalität und einen guten, internationalen Ruf gelang es manchen Rollenspielergemeinschaften sogar, den Sprung vom Amateuersdasein zu "Senior Professionals in Emulated History" zu schaffen und somit ihr Hobby zu einem Beruf zu machen.

[8] Der potenzielle Nutzen

Die oben angeführten Einzelbeispiele sollten nur auf anschauliche und beispielhafte Weise denkbare Anwendungsmöglichkeiten einer raumzeitlich als Virtual Reality modellierten Region aufzeigen. In einer etwas abstrakteren Form lässt sich der Nutzen unter anderem durch die folgende Stichworte andeuten:

  • Denkbar offener und nachhaltig nutzbarer Rahmen für eine umfassende Integration korrelierbarer Datenbestände
  • Einheitlicher Navigationsraum mit den anschaulichen Kategorien Raum und Zeit als Kardinaldimensionen
  • Praktisch uneingeschränkte Skalierbarkeit des Systems bezüglich Datenmengen, Benutzergruppen und Detaillierungsgrad der Modellierung
  • Die Zeitachse eröffnet die Möglichkeit von Simulationen, Extrapolationen und geschichtlichen Spekulationen um Lücken zumindest hypothetisch zu füllen sowie Daten auf ihre Konsistenz zu überprüfen.
  • Einheitlicher Datenbestand eröffnet die Möglichkeit verschiedenster Plausibilitätsüberprüfungen von TeildatenRaumzeitkoordinaten könnten zur Regelung von schreibenden und lesenden Zugriffsrechten genutzt werden: ein differenziertes aber intuitiv nachvollziehbares, datentechnisches Rechtekonzept könnte in Anlehnung an reale Gegebenheiten erstellt werden.
  • Raumzeitlich strukturierte Daten einer Region könnten ohne weiteren Aufwand mit Daten anderer Regionen korreliert werden.
  • Schnelle Verfügbarkeit zuverlässiger Daten für Planungen und Entscheidungsprozesse
  • Automatisierte Sensitivitätsanalyse von Planungsdaten: eine virtuell vorgenommene Änderung eines Straßenverlaufes kann unterstützt durch kleine Softwaremodule sofort in seiner potenziellen Auswirkung auf verschiedenste Realitätsbereiche untersucht werden, ohne dass bestimmte Realitätsaspekte aufwändig neu modelliert werden müssten.
  • Die realitätsnahe Modellierung der Realität im Sinne einer VR zwingt zur Beantwortung detaillierter Fragen und einer Hinwendung zum Anschaulichen und somit auch volksnah Vermittelbarem.

[9] Liste beispielhaft offener Punkte

Der Gedanken raumzeitbasierter Informationsräume ist nicht neu und Teillösungen auf einem Weg hin zu Systemen wie dem oben vorgestellten sind Gegenstand laufender Forschung und Entwicklung.

Aus technischer Sicht sind in den kommenden Jahren große Fortschritte zu erwarten. Methoden der Virtuellen Realität, die unmittelbare Kopplung von Sinneszellen mit Softwaresystemen sowie die zunehmende Durchdringung der dinglichen Realität mit Sensoren im weitesten Sinne lassen die technische Machbarkeit quasi-realer virtueller Räume zunehmend realistisch erscheinen. Wesentliche Impulse dürften diesbezüglich insbesondere von der Unterhaltungsindustrie sowie militärischen Anwendungen ausgehen.

[10] Es sind weniger die technischen Probleme als vielmehr die oranisatorisch-administrativen Fragestellen, die Fragen nach dem Sollverhalten einer Gesamtlösung, die nicht zu unterschätzende Probleme aufwerfen. Die folgende Liste von Detailfragen kann den Umfang der Probleme sowie die Notwendigkeit eines zu entwerfenden Gestaltungsparadigmas für VR-Realitäten nur ansatzweise andeuten:

  • Nach welche Kriterien soll festgelegt werden, wer über das gegenwärtige Aussehen einer VR-modellierten Häuserfassade entscheiden darf? Der Hauseigentümer, der Besitzer, der Denkmalschutzbeauftragte der Stadt, eine Webcam (welche die Fassade vielleicht mehrfach am Tag fotografiert)?
  • Nach welchen Kriterien soll festgelegt werden, ob eine bestimmte Person Zutrittsrechte zu den virtuell modellierten Geschäftsräumen einer bestimmten Anwaltskanzlei erhält?
  • Soll es virtuelle Alarmanlagen geben? Soll also etwa der Eigentümer eines Buchladens darüber informiert werden, wenn sich jemand unberechtigten (virtuellen) Zutritt in die Geschäftsräume verschaffen will?
  • Soll es zugriffsrechtliche Delegationen geben? Soll also der Eigentümer eines Hauses die Modellierungsrechte an den Hausmeister übertragen dürfen? Und was soll mit den Schreibrechten des Hausmeisters passieren, wenn der Eigentümer das Haus verkauft?
  • Inwiefern würde es Sinn machen, das datentechnische "Ownership" an die katasterbehördlichen Eigentumsrechte zu koppeln? Katasterdaten sind zur Zeit nur bei Nachweis eines berechtigten Interesses und gegen Bezahlung erhältlich.
  • Aus welchen Primitives (geometrische Grundkörper) soll sich die virtuelle Realität zusammensetzen dürfen? Sollen nur einfache Körper wie Quader, Zylinder, Kugeln oder Tetraeder erlaubt sein? Oder soll es etwa auch möglich sein, bestimmte Körper wie Häuser oder Bäume aus stereoskopischen Aufnahmen heraus zu modellieren?
  • Wie soll ein Gebäude dargestellt werden, für welches der Besitzer keinerlei Daten definiert hat? Sollen Webcambilder und Luftbildaufnahmen zur Erzeugung einer "Defaultansicht" verwendet werden?
  • Wie wird das Problem geklärt, dass der Besitzer einer Produktionsanlage die Bilder einer Webcam oder sonstiger fotografischer Aufzeichnungen zur Vermeidung von Industriespionage unterdrückt haben möchte?
  • Wie soll ein Mindestmaß an Kontinuität an den Schnittstellen modellierungstechnischer Zuständigkeiten garantiert werden? Wäre es akzeptabel, wenn der "Owner" der Hausnummer 13 seine Fassade photorealistisch modelliert und deshalb auch einen Efeubewuchs zeigt, währenddessen der Nachbar mit der Hausnummer 15 bloß einen Standard-Primitive ohne Efeu verwendet? Ein Besucher des Straßenzuges würde dann unrealistisch abrupte Brüche im Aussehen wahrnehmen? Und wenn der neue Besitzer eines Hauses dieses sprungartig anders modelliert als der Vorbesitzer, soll dann in einer filmischen Darstellung der Häuserfassade ein Sprung in der Ansicht erlaubt sein?
  • Wem gehören Rohrleitungsinfrastrukturen aus datentechnischer Sicht? Darf ein Hauseigentümer eine virtuell modellierte Gasleitung auf seinem Grundstück eigenmächtig verlegen, auch wenn diese dem Gasversorgungsunternehmen gehört und wenn durch die Umlegung ein Sprung in der Leitung auftrete?
  • Wer hat das Recht zur Modellierung der Zukunft? Wer darf die 250 m rund um die Kennedystraße 12 in Bischofsweiler für das 2025 modellieren? Wie sind auslaufende Pachtverträge oder laufende Enteignungsverfahren zu berücksichtigen?
  • Wer hat das Recht zur Modellierung der Vergangenheit? Wer darf heute über die Modellierung einer Klosteranlage für das Jahr 1807 entscheiden, wenn sie sich damals im Privatbesitz der Familie Bonaparte befand?
  • Wer darf den geologischen Untergrund modellieren? Geologische Institute? Der Grundstückseigentümer?
  • Wie sind Lagerstätten bergfreier Minerale zu modellieren, die ja rechtlich erst einmal niemandem gehören?
  • Wer darf den Luftraum modellieren? Flugkontrollinstanzen? Wenn ja, welche und auch vertikal gestaffelt? Der Grundstückseigentümer? Sollen reale Flugzeuge als "Avatare" eingeblendet werden. Wenn ja, dann auch mit Motorgeräuschen?
  • Sollte es Varianten zur Modellierung zukünftiger oder vergangener Zustände geben? Wenn sich etwa zwei Hypothesen über die genau Lage eines ehemaligen Stollenbetriebes im Wurmtal um 10 m unterscheiden, auf welche Weise sollten dann diese Varianten modelliert werden, wenn die unterschiedliche Lage der Stollenbetriebe auch gänzlich unterschiedliche Zugangswege und - als modellierungstechnischer Rattenschwanz - einen ganz unterschiedlichen Verlaufes der Wurm bedingten? Mit welcher Tragweite sollten sich lokale Varianten durch Raum und Zeit in der Modellierung verknüpfter Daten fortpflanzen?
  • Sollen alle zukunftsbezogenen Varianten mit dem Eintreten der Gegenwart gelöscht bzw. durch den einzig gültigen Ist-Zustand ersetzt werden? Oder sollen zeitpunktbezogene Planungsvarianten archiviert werden?
  • Wem gehört die Modellierung des Wetters? Darf eine bestimmte amtliche Wetterbehörde den Himmel, Windgeschwindigkeit und Niederschlag für 5 Tage im Voraus modellieren?
  • Wie soll sich die Renderung einer Häuserfassade ändern, wenn es regnet?
  • Soll es Verwitterung in der VR geben? Soll ein Haus, für das der Eigner keine Sanierungsmaßnahmen in der Zukunft geplant hat, sichtbar verwittern? Soll der Eigentümer eine Option zur Unterdrückung des Verwitterungseffektes erhalten?
  • Nach welchen Kriterien soll der Detaillierungsgrad einer Realitätsrenderung bestimmt werden, wenn Engpässe in den Kapazitäten des Netzwerkes oder von Zentralrechnern auftreten?
  • Sollen bei NetzwerkengpässenPolizeidienststellen gegenüber Studenten vorzugsweise bedient werden? Sollen Kapazitäten durch Bezahlung zugewiesen werden? Soll es eine gesonderte Steuerung von Netzwerkkapazitäten in Notfällen geben?
  • Inwiefern müssen Naturgesetze in der Modellierung berücksichtigt werden? Darf ein Grundstückseigentümer sein Grundstück so modellieren, dass ein Bach aufgrund einer fehlerhaften Modellierung des nachlässigen Nachbarn bergauf fließen müsste? Oder muss der Grundstückseigentümer seinen Grund und Boden zur Wahrung der Naturgesetze gezielt auch falsch modellieren?
  • Soll die Modellierung eines echten Unwetters auch dazu führen, dass frei herumstehende (virtuelle) Blumenkübel umfallen, Wasser aus Gullideckeln austritt und Keller von Privatpersonen überflutet werden? Könnte man solch ein Verhalten vielleicht zur Ausgabe von Warnmeldungen, z. B. SMS, nutzen?
  • Wie soll mit rückwirkenden Korrekturen verfahren werden, wenn diese riesige miteinander korrelierte Daten betreffen? Was soll etwa mit detailliert modellierten historischen Daten einer Tuchmanufaktor des Jahres 1747 passieren, wenn man feststellt, dass die Fabrik zu diesem Zeitpunkt bereits drei Jahre nicht mehr in Betrieb war, man aber für dieses Jahr die Fuhrgeschäfte, Lohnverhältnisse und Umweltdaten so modelliert hatte, als Stünde der Manufakturbetrieb noch in voller wirtschaftlicher Blüte?
  • Soll das System effektorische Ausführungsgewalt erhalten, wenn es zutreffende Erkenntnisse mit unmittelbarem Handlungszwang erlangt? Wenn das System etwa aufgrund einer Hochrechnung feststellt, dass aufgrund eines Pumpenausfalles in genau 17 Sekunden eine stark abfällige Straße mit Wasser überflutet werden wird und dieses Wasser aufgrund eisiger Minustemperaturen sofort gefrieren wird, soll das System dann Ampeln auf Dauerrot stellen dürfen, um den Verkehr zu sperren?
  • Soll es in der virtuellen Realität hypothetische Avatare zum Zwecke einer realitätsnahen Belebung, sozusagen ein Soziorendering, geben? Sollen in der virtuellen Realität zu Adventszeiten spürbar mehr französisch-, englisch- und niederländischsprachige Personen durch die Innenstadt von Aachen laufen?
  • Wie soll die Realitätsgrenze zwischen künstlich erzeugten Dummypersonen und realitätsgekoppelten Avataren gestaltet werden? Ein Benutzer des Systems entscheidet sich beispielsweise, direkt am Bahnhof Guillemins in Lüttich in die 3D-Realität einzusteigen. Erscheint er anderen Benutzern als plötzlich auftretende Figur? Oder soll er sich eher langsam aus dem Nichts heraus materialisieren? Soll er aus einer Toilette heraustreten (obwohl vorher niemand in die Toilette hineingegangen war)? Und was soll mit dem Avatar passieren, wenn der Benutzer sich wieder aus dem System auskoppelt? Darf der Avatar einer Person dann irreführenderweise weiter durch Lüttich laufen, selbst wenn der echte Benutzer längst auf einem virtuellen Besuch in einer südlimburgischen Brauerei eingekehrt ist?
  • Wie soll das Problem verteilter Instanzen behandelt werden: Drei unterschiedliche Benutzer laden sich jeweils eine Sicht des Aachener Marktes in ihre lokale PC-Umgebung und gehen darin spazieren. Nun greift ein Benutzer nach einem herumliegenden Regenschirm, um diesen auf einen Mauerabsatz zu legen. Zum gleichen Zeitpunkt greift auch Benutzer zwei nach dem Schirm, währenddessen Benutzer drei versehentlich aber dennoch beharrlich mit dem Fuß auf dem Schirm steht. Diese drei Handlungen sind innerhalb von zwei Sekunden abgelaufen und laufen nun zum Zwecke einer abgleichenden Aktualisierung der drei lokalen Instanzen in den Zentraldatenbestand ein. Was ist jetzt die gültige Version des zentralen Datenbestandes? Wo liegt jetzt der Regenschirm "wirklich"?
  • Soll es den Benutzern gestattet sein, eigene Traumwelten als datentechnische Parallelinstanzen innerhalb der gemeinsamen Gesamtwelt zu schaffen? Soll es also möglich sein, dass sich manche Personen ein Gemeinwesen modellieren in dem sie diktatorische Alleinherrscher sind? Sollen in einer solchen Welt die üblichen Gesetze der guten Sitten gelten? Falls nein, soll es eine virtuelle Strafgerichtsbarkeit geben?
  • Wie kann sichergestellt werden, dass durch reale Personen bewirkte Abläufe in der virtuellen Welt, wie etwa Beleidigung oder Betriebsspionage, zu einer gerichtlichen handhabbaren Ansprache dieser Personen führen können? Wie kann man also erkennen, ob eine virtuell modellierte Figur zu einem bestimmten Zeitpunkt durch ein Computerprogramm oder durch einen lebenden Menschen gesteuert wird?
  • Soll es erlaubt sein, für virtuelle Werbung echtes Geld verlangen zu dürfen? Darf man also etwa seine Häuserfassade an eine Brauerei verpachten, sodass diese dort einen Werbeslogan anbringt? Soll es einen Denkmalschutz im virtuellen Raum geben, der dies verbieten könnte?
  • Welches Koordinatensystem soll zur Festlegung von Raumkoordinaten verwendet werden: Gauß-Krüger, lokale Systeme, GPS-bezogene Daten?

[11] Neben den konkreten Fragen einer softwaretechnischen Umsetzung ist aber auch die Wirkung eines solchen Systems auf die reale Welt zu untersuchen:

  • Wie wird sich die Psyche von Menschen ändern, die einen großen Teil ihrer Wachzeit in einem solchen System verbringen?
  • Taugt ein solches System vielleicht als Realitätsprothese für ganzkörpergelähmte Menschen?
  • Welchen Formen technischer Abhängigkeiten ergeben sich etwa für Feuerwehren, Polizei oder auch die Börse, wenn das Funktionieren ihrer Dienstleistungen in vielen Bereichen von einem proprietären Softwaresystem abhängen?
  • Inwiefern muss damit gerechnet werden, dass ein solches System zum Gegenstand informationstechnischer Kriegsführung oder von Hackerattacken wird?

[12] Welche Formen einer geldwerten Entlohnung sind für die Mitgestalter dieser virtuellen Welten denkbar? Bieten solche Welten eine Möglichkeit, gesellschaftliche, kulturelle Wissensarbeit angemessen zu ökonomisieren? Sollte man die Teilnahme an prognoseorientierte Börsensimulationen gegen Entlohnung vorsehen? Sollte die Erkennung und Nennung inkonsistenter Daten entlohnt werden? Sollte man die Möglichkeit virtueller Kunst vorsehen? Sollte es also möglich sein, gegen Bezahlung durch eine Privatkunden dessen Häuserfassade mit einem virtuellen Kunstwerk zu verzieren? Inwiefern ist der Gedanke von virtuellen Geschichtenerzählern, die von lebenden Menschen gesteuert werden und interaktiv auf ihre Zuhörer eingehen können, verfolgenswert? Ließe sich Geld mit dem Übersetzen der Rede modellierter Figuren, gegebenenfalls auch simultan, in andere Sprachen erzielen? Wären Hobbyeisenbahner einer lukrativer Markt für virtuelle Modelleisenbahnen bzw. deren Gestaltung?

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