Rechtfertigungskultur
Gedanken über Motivation von Menschen

Gunter Heim
Juli 2002

[1] Auf der Arbeit, in Jugendgruppen, im Verein, in der Familie: überall möchte man Mitmenschen dazu bewegen möglichst mit Elan an gemeinsamen Zielen zu arbeiten.

[2] Zu Unrecht wird der Beamtenstil, das Einreissen von "Behördenschlendrian" als das genaue Gegenteil dessen angesehen, was man erreichen möchte.

[3] Behörden sind dazu da zu verwalten. Verwalten heisst jederzeit über halbwegs korrekte Kenntnisse über den Verwaltungsgegenstand zu verfügen, Datenbestände in sich schlüssig und konsistent zu halten. Wenn man ein Eiwohnermeldeamt danach fragt, ob in Padernberg ein gewisser Ludger Zamelczak wohnt, dann möchte man schnell die richtige Antwort. Die richtige Antwort; das heisst es soll stimmen. Dass die Antwort aber richtig ist, dazu muss die Behörde sicherstellen, dass "wohnen" eindeutig definiert ist, die Behörde muss sicherstellen, dass ein und dieselbe Person nicht an mehreren Orten mit ihrem Lebensmittelpunkt gemeldet ist, die Behörde muss ausschließen, dass es zu Namensverwechslungen kommt und so weiter. Dass eben all dieses eingehalten wird, dazu dienen verläßliche Vorgänge (Workflows). Der Arbeitsstil der sich dann zwangsläufig etabliert ist geprägt von der Tatsache, dass der einzelne Mitarbeiter alles was er tut auch begründen und rechtfertigen kann. Könnte er es nicht, wäre es schlimm bestellt um die Verwaltung. Wenn ein Sachbearbeiter etwa einen neuen Einwohner zu einem bestimmten Datum in einem Ort als wohnhaft vermerkt, dann wäre es keine gute Begründung wenn er dabei auf sein Gefühl oder eine Inspiration verweist. Er muss auf vorgeschriebene Definitionen und kodierte Abläufe verweisen können. Nur so darf er sein Tun rechtfertigen.

[4] Der Mitarbeiter einer Behörde sollte also jederzeit in der Lage sein, zu zeigen, dass er in Übereinstimmung mit Verordnungen und Gesetzen handelt. Dazu ist er da.

[5] Insofern ist das Beamten- und Behördenwesen eine positiv zu interpretierende Rechtfertigungskultur.

[6] Im Folgenden möchte ich andeuten, dass ein äußerlich gleicher Arbeitsstil aus einem ganz anderen Grund heraus noch entstehen kann und dieser dann tatsächlich schädlich ist.

[7] Dieser negative Rechtfertigungskultur ist geprägt durch:

  • Mauern gegenüber Kollegen
  • Kleinliches Dokumentieren aller Aktionen
  • Schuld auf andere abwälzen
  • Taktieren statt sachlich argumentieren
  • Kultur des Scheins statt seins
  • Entscheidungsverweigerung
  • Ständige Rückkopplung
  • Zwanghaftes Konsensbedürfnis

[8] Wie würde man einen Menschen auf der Arbeit am ehesten zu solch einem Verhalten bewegen? Durch vorwurfsvolle Formulierungen wie:

  • Na, hat der Kunde wieder einmal nicht rechtzeitig unser Angebot erhalten? (Unausgesprochen: mein Gott, haben sie schon wieder gepennt)
  • Wir brauchen jetzt ein vernünftiges Konzept! (unausgesprochen: was sie bisher gemacht haben erfüllt diesen Anspruch nicht)
  • Ja, aber... (das heisst: sie haben zwar viel geredet, aber das Wesentliche wohl nicht kapiert)
  • Ich verstehe wirklich nicht... (das heisst: sie haben zwar viel geredet, aber das hätten sie sich auch sparen können)
  • Ich möchte einfach nur... (das heisst: es ist unbegreiflich, warum sie so simple Dingen nicht hinkriegen)
  • Warum hat denn niemand... (das heisst: die offensichtlichsten Dingen kapiert hier keiner)
  • Wie sind sie denn darauf gekommen... (das heisst: Mein Gott, wie denkt der denn)

[9] Und das Killerargument per se: Wie glauben sie denn, dass ihr Tun uns mehr Geld bringt?

[10] Prägen solche Andeutungen das Klima, so kann man es niemanden verwehren, dass er versucht, für alles was man ihm vorwerfen könnte eine starke Erklärung parat zu haben:

[11] Man macht von jedem Telefongespräch eine Telefonnotiz, man entscheidet selbst nur, wenn man dazu gezwungen wird, man vermeidet neue, innovative Gedanken für die man - natürlicherweise - keine Referenzen angeben kann. Mit der Zeit entstehen umfangreiche Unterschriftenmappen mit absurd langen Umlaufwegen, Vorgesetze lassen alles über ihren Tisch gehen, man wertet Kollegen und andere Abteilungen ab nach dem Motto, dass Angriff die beste Verteidigung ist, man fertigt von jedem digitalen Dokument immer erst einmal einen Ausdruck an und so weiter.

[12] Dies sind die gleichen Verhaltensweisen die auf einer Behörde unter Umständen absolut notwendig sind, um die notwendige Korrektheit von Abläufen und somit der Datenbestände zu garantieren.

[13] Wo aber keine nahzu hundertprozentige Korrektheit sondern eher kontrollierte Nachlässigkeit, Kreativität, Denken in alternativen Lösungen gefordert ist, da ist ein solches Verhalten auch eher schädlich.

[14] So kommt es, dass man ganz zu unrecht den gewissenhaften Stil einer Behörde als wenig flexibel und "beamtenmäßig" abwertet.

[15] Und so kommt es aber auch, dass manchmal gerade solche Vorgesetzte, die durch vermeintlich auffordernde Sprüche wie "wir müssen endlich einmal" oder "was wir brauchen ist eine Aufbruchsstimmung" genau das Gegenteil von dem ereichen, was sie eigentlich wollen.

   

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