Der neue Chef als Löwenvater
Beobachtungen über Führungswechsel

Gunter Heim
September 2002

[1] Es wird berichtet, dass so mancher Löwenfamilienvater von einem Konkurrenten zum Kampf herausgefordert wird und dabei unterliegt. Der Gewinner nimmt sich als Preis die Löwenmutter - und die Löwenkinder.

[2] Nun dreht sich in der Natur aber scheinbar vieles darum, die eigenen Erbanlagen möglichst in die Zukunft zu retten und da kommen die Kinder eines anderen Löwenmännchens eher ungelegen.

[3] Aus dieser Sicht mag es denn auch nicht verwundern, dass so manches Löwenkind durch das neue Familienoberhaupt totgebissen wird. Die Löwin, nun ohne Nachwuchs, ist genötigt, sich mit dem neuen Chef zu paaren, will auch sie einige ihrer Gene in die Zukunft schicken.

[4] Ein ähnliches Phänomen kann man zuweilen auch im Berufsleben oder der Politik beobachten. Nur sind dann die Kinder eher Projekte oder Vorhaben. Das Weibchen sind die alten Mitarbeiter.

[5] Gewinnen die Konservativen unter der Führung von Edmund Stoiber die Bundestagswahl in drei Wochen, so werden auch sie versuchen, so manches unliebsame Kind ihrer Vorgänger "totzubeissen". Die Ökosteuer, das Erneuerbare-Engergien-Gesetz, das Dosenpfand, Regelungen zur Verhinderung von Scheinselbständigkeit und das Gesetz zum Atomausstieg dürfen im Falle eines Wahlsieges der Union um ihr Leben fürchten.

[6] Auch im Berufsleben scheint so manche neue Führungskraft von dem Trieb beseelt, laufende Projekte möglichst schnell zu beenden und durch eigene Kinder zu ersetzen. Und das geht recht einfach.

[7] Auf Besprechungen werden laufende Projekte vorwiegend mit negativen Vokabeln umschrieben oder noch besser: einfach totschweigen. Mitarbeiter laufender Projekte erhalten für diese weder Lob noch Aufmerksamkeit. So verlieren sie bald von alleine das Interesse daran. Oder man besetzt einzelne Aufgaben in laufenden Projekten gezielt mit enstsprechend ungeeigneten Personen. Im Gegenzug werden eigene Projekte aktiv präsentiert und mit positiven Vokabeln belegt.

[8] Dies ist eine Beobachtung die man hin und wieder machen kann aber diese Tatsache sagt noch nichts über die Rechtmäßigkeit eines solchen Verhaltens aus. Hier muss man sehr vorsichtig sein.

[9] Die Frage nach dem Ziel des Haupttäters, des neuen Chefs also, hilft weiter.

[10] Dient das Totbeissen der alten Projekte nur der eigenen Profilierung, dem Ego also, so ist wohl weniger davon zu halten und das Verhalten wird die Firma oder die Abteilung nicht unbedingt vorwärts bringen. Grabenkämpfe zwischen willensstarken Personen und psychosomatische Krankheiten werden vielleicht die Folge sein.

[11] Sind die laufenden Projekte aber Zöglinge ohne reelle Überlebenschance, so kann das das Totbeissen alter Projekte nicht nur akzeptabel sondern unter Umständen sogar als lebensnotwendig geboten und alleine schon dadurch gerechtfertigt sein.

[12] Fragt sich noch, welchen Einfluss das Totbeissen der Jungen auf die Fruchtbarkeit des Weibchens hat, sprich wie sich das gewaltsame Beenden laufender Projekte auf die Motivation der Belegschaft auswirkt.

[13] Eine gewisse Gefahr besteht in der an sich gewünschten Identifizierung von Mitarbeitern mit ihren Tätigkeiten. Werden diese auf einmal durch die oben beschriebenen Maßnahmen herabgewürdigt, so mag dies dem Antrieb der betroffenen Personen durchaus einen herben Schlag versetzen und eine Abwehrhaltung oder Zurückhaltung gegenüber der neuen Führung hervorrufen. Man kann dann vielleicht von weniger fruchtbaren Mitarbeitern sprechen. In der Politik ist es denn ja auch nicht unüblich, dass mit einem Wechsel von Ministern gleich in großem Umfang die Beamten mit ausgetauscht werden um diesem Effekt vorzubeugen.

[14] Aber vielleicht gibt es auch einen goldenen Mittelweg. Vielleicht macht der neue Löwenpascha die beste Schnitte, wenn er dem alten Weibchen ihre lebensfähigen Kinder belässt, diese liebevoll mit ihr großzieht und in die Freiheit entlässt Dann nennt der Löwe eine stolze, zufriedene und höchst fruchtbare Löwengattin seine Partnerin und kann mit ihr eine neue Familie gründen. Dies dürfte zum Wohle aller sein und vielleicht vor allem die Löwenkinder aus erster Ehe freuen.

   

Eine Ebene höher // Zwei Ebenen höher

 

E-Mail Adresse
Kontakt