Leserbrief

Sowohl der klassischen Wissenschaft als auch der klassisch-christlichen Gottesvorstellung nimmt George Coyne einen Grundpfeiler weg. Und weil er dadurch den Bogen weiter spannen kann, gelingt ihm auch der Brückenschlag zwischen den beiden scheinbar unvereinbaren Weltvorstellungen Wissenschaft und Religion.

Der Wissenschaft nimmt er den Gedanken von der gesetzesmäßigen Vorherbestimmtheit. Das Weltall spult sich nicht nach unausweichlichen Naturgesetzen ab. Vielmehr fordert Coyne, daß "Spontaneität und Unbestimmtheit" den Gang der Welt grundsätzlich offen ließen. Dies ist eine wesentliche Deutungsmöglichkeit der Quantenphysik, die sich mit dem Verhalten der allerkleinsten Bausteine von Materie oder Energie beschäftigt und die von Materie beziehungsweise Masse die Einhaltung von Naturgesetzen lediglich im statistischen Mittel verlangt, im Einzelfall aber der Natur keine Vorgaben macht.

Der Religion nimmt Coyne das Postulat eines allmächtigen Gottes, welches ja im offensichtlichen Widerspruch zur Güte und Gerechtigkeit eines Weltenlenkers steht.

Solche Gedanken sind nicht neu. Wissenschaftliche Nobelpreisträger weisen seit den 1920iger Jahren immer wieder darauf hin, daß die Erkenntisse der Quantenphysik, Biologie und Kosmologie durchaus mit der Vorstellung eines Gottes vereinbar seien.

Neu ist aber die Offenheit mit der ein offizieller Vertreter der Kirche die beiden Gedanken vereinigt und somit Ängste nicht nur auf kirchlicher Seite zu entkräften sucht.

Gott ist nicht allmächtig und die Naturgesetze regeln nicht alles abschließend. Welches Weltbild, welche Religion ließe sich hierauf aufbauen? Kann es sein, daß Gott die Welt schuf in dem Wissen, daß früher oder später intelligente Wesen in ihr entstehen würden? Und kann es weiter sein, daß Gott aus irgend einem Grund nicht selbst in dieser Welt wirken will oder kann, sondern dies uns, seinen Geschöpfen überlassen ist? Ist es denkbar, daß Gott über uns in die Welt hinein wirken will? Ist unser Bewußtsein ein Ausdruck göttlicher Einflußnahme?

Eine solche Deutung würde uns zu Statthaltern oder Partnern Gottes erheben. Welche Verantwortung würde dies auf unsere Schultern bürden?

Welche Konsequenzen solche Gottesbilder für die etablierten Kirchen hätten, ist nicht abzusehen. Aber Coynes Äußerungen sind ein mutiger Schritt heraus aus einer Religion die jegliches Recht und Unrecht mit einem göttlichen Plan entschuldigen konnte.

Wer sich ernsthaft für die Vereinbarkeit von Wissenschaft und Religion interessiert, sollte sich nicht auf Esoterik und östlichen Weisheiten beschränken. Wennauch nicht so leicht verdaulich, so bieten gerade die Werke von Schrödinger, Heisenberg, Eccles, Popper, Feynman, Gell-Mann und vielen anderen renommierten Wissenschaftlern einen großen Fundus an tiefgehenden und originellen Gedanken.

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