"Es gibt keinen Allmächtigen"
Vatikan-Astronom: Vorstellung vom Schöpfergott muss geändert werden
Artikel aus den Aachener Nachrichten, 27. Mai 2000, Seite 4

Vatikanstadt (kna). Eine veränderte Vorstellung von Gott als Schöpfer der Welt hat der oberste Astronom des Vatikan, der amerikanische Jesuit George V. Coyne, auf der Grundlage de neueren astronomischen Forschung angeregt.

In einem Artikel der Vatikanzeitung "L'Osservatore Romano" entwarf der Direktor der vatikanischen Sternware eine Vorstellung von Gott, die von traditionellen Begriffen wie "Schöpfungsplan" abweicht und den modernen kosmologischen Theorien Rechnung trägt. Im einzelnen schrieb Coyne, das Gottesbild der Theologen müsse den Entwicklungen des menschlichen Denkens angepasst werden. Auch die Vorstellung vom Schöpfergott müsse den Begriffen der modernen Kosmologie entsprechen. In diesem Sinne sei Gott als Schöpfer eines Universums zu begreifen, in dem "das Ziel und der Plan der Schöpfung nicht die einzigen und nicht einmal die wichtigsten Faktoren" seien, sondern in dem "Spontaneität und Unbestimmtheit" entscheident zur Entwicklung des Universums beigetragen haben. Ein "allmächtiger und allwissender Gott im Sinne eines Newtonschen Universums, in dem alles vorherbestimmt und deterministisch ist", entspreche nicht dem heutigen wissenschaftlichen Kenntnisstand, schrieb der Jesuit weiter, der die vatikanische Sternwarte seit 1978 leitet. Das neue Bild von Gott als Schöpfer eines für zufällige Entwicklungen offenen Universums entspreche durchaus der biblischen Offenbarung, die den Schöpfer in seiner Haltung gegenüber den Geschöpfen nicht als Gott des Zwangs schildere, sondern als Gott, der die Menschen zur Teilnahme am Schöpfungswerk einlade.

"Mehr als eine Formel"

Trotz weitgehender Übereinstimmung mit der modernen Kosmologie distanzierte sich Coyne von einem "Trend" in der heutigen Wissenschaft, die Gott nicht als Person begreife, sondern als bloße Erklärungsformel für die Welt. Für den Theologen und Gläubigen sei Gott jedoch wesentlich mehr als dies.

Entwurf eines Leserbriefes
Interview mit George Coyne im Original