Das Ich als Sammelsurium vieler Einzelkämpfer Ich will! ist ein Satzfregment ohne abstruse Fremdwörter und komplizierte grammatikalische Verschachtelungen. Und dennoch verbirgt sich hinter diesen zwei Worten ein tiefes Mysterium. Man versuche einmal die Worte ich und wollen zu definieren. Ich habe es mit viel Ausdauer und Phantasie probiert und es ist mir nicht gelungen Was ist das Ich? Auf diese alte philosophische Frage möchte ich den Vorschlag einer Antwort machen. Aber zuvor möchte ich an Beispielen zeigen, was denn an diesem Begriff so schwierig sein kann. Das erste Beispiel bezieht sich auf die Berufswahl. Nachdem ich 1995 mein Bergbaustudium in Aachen beendet hatte, stellte sich die Frage nach dem weiteren Werdegang. Ein konkretes Angebot seitens eines Unternehmens der Gips- und Baustoffbranche hatte ich bereits abgelehnt bevor ich dann ein zweites konkretes Vertragsangebot eines Bergbauunternehmens erhielt. Ich konnte in mir deutlich unterschiedliche konkurrierende Wünsche, Stimmen, Argumente oder Willen wahrnehmen:
Da stand ich nun. Aus dem Inneren meines Gehirnes sprachen all diese beratenden und hoffentlich wohlwollenden Stimmen zu mir. Alle hatten irgendwo recht und widersprachen sich dennoch. Was ist das Ich in einer solchen Situation? Ist es eine zunächst willenlose Instanz im Gehirn, die sich beraten lässt und dann ein ausgewogenes Urteil fällt? Ist es der Wille zum beruflichen Erfolg? Ist es der Wille zur Umsetzung meiner Philosophierereien? Ist es ein bloßer Zuschauer der gar keinen Einfluss nimmt? Aus der blossen Selbstschau heraus kann ich diese Frage bis heute noch nicht beantworten. Vom Gefühl her stehe ich am ehesten auf dem Standpunkt, das Ich und mein Bewusstsein waren bei der ganzen Entscheidungsfindung nicht mehr als Zuschauer. Dass ich letztendlich das Angebot annahm war nicht der weise Eingriff des übergeordneten Ichs sondern schien mir ein Waffenstillstand oder Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner aller beteiligten Willen gewesen zu sein. Ich nahm an in der Hoffnung in mir seien verborgene Fähigkeiten, in der Zuversicht viel für meine Thesen lernen zu können und in der Hoffnung ausreichend Freizeit zu haben. Das zweite Beispiel für die nebulöse Rolle eines Ichs bezieht sich auf das wohltätige Spenden von Geld oder Zeit. Schaut man sich in der Welt um, sollte eigentlich jedem das Herz stocken ob der himmelschreienden Ungerechtigkeit. Wir in unseren westlichen Wohlstandsdemokratien leben in Saus und Braus und großer Freiheit. Anderswo auf Erden wird sich in Ditkaturen und Bürgerkriegen gegenseitig hingemetzelt und gefoltert. Viele Menschen leiden an Hunger und Krankeiten oder den Folgen von Naturkatastrophen. Derweil in Mosambik vielleicht ein Familie nicht das Geld für eine einfache Prothese für ein durch Tretminen verletztes Kind zusammenbekommt, wissen wir oftmals vor Übersättigung nicht, ob wir uns lieber griechisch oder italienisch überfressen sollen, bevor dann die nachfolgende Kneipentour durch die Innenstadt zum eingeplanten Alkoholabsturz führen soll. Ein Bisschen schlechtes Gewissen dürften viele von uns über diese Umstände empfinden. Und ein schlechtes Gewissen ist etwas Beharrliches. Seit Jahren schlägt mir dieses schlechte Gewissen immer wieder vor, etwas von meinen verhältnismässig gesicherten finanziellen Möglichkeiten zu spenden. Wieder wird mein Ich von unterschiedlichen Stimmen beraten:
Auf irgend eine nicht erklärbare Art und Weise identifiziert sich das Ich am ehesten mit dem ersten Willen, mit dem schlechten Gewissen, das aus Mitleid und Vernunft viel Spenden möchte. Durchgesetzt haben sich bisher aber nur die Verhinderer. Man fühlt sich an Nietzsches Spruch erinnert: "Es bleibt zu häufig bei einem Erkenn des Guten, ohne es zu tun, weil man auch das Bessere kennt, ohne es tun zu können." In: "Vom Nutzen und Nachteil der Historie für das Leben", geschrieben um das Jahr 1873 Ist es eine Eingebung aus dem Jenseits, dass sich das Ich-Gefühl am ehesten mit den Nobelsten verknüpft? Und ist es ein Indiz für meine These der beschränkten Kupplung, dass sich dieser Einfluss noch nicht durchsetzen konnte? Ist mein Gehirn für einen Einfluss aus dem Jenseits bezüglich Spenden noch nicht effektiv genug? Oder aber ist das alles Einbildung und letztendlich dadurch erklärbar, dass ich mir meine Schwäche akzeptierbar reden will und die ganze Philosophiererei nur Humbug? Ich möchte an dieser Stelle den englischen Philosophen Olaf Stapledon aus seinem Buch "Saints and Revolutionaries" zitieren. Er gibt sehr treffend die Natur des "Ichs" und seinen Bezug zur Welt wieder: "But what about this 'something discovered in
the depth of one's own being'? This I interpret as a
metaphorical way of saying that in persistent
contemplation of myself and the world I discover, beneath
all the personal desires which make up the everyday
"I", another desire or will, so alien from the
everyday "I" as to seem indeed another being.
It is a detached will for the good, not
for my good nor even for mankind`s good, but for the good
of the universe, whatever that may turn out to involve. I
recognize that this will ought to be the supreme determinanant
of may conduct, and in a fickle sort of way I
strive to submit my normal self to it (beschränkte
Kupplung!). I recognize also that in some sense this will
is a potentiality of all minds. Inevitably the awakening
of a mind must lead it to this desire, this will.
Evidently, then, this will is a very important factor in
the universe. But what its metaphysical status is, I do
not pretend to know." Ein ungewöhnlich unterhaltsam geschriebenes (und reich bebildertes) Buch führt unter der Metapher des "inneren Teams" eine Fülle weiterer Beispiele an und bietet über die reine Anschauung hinaus auch noch praktische Tips um dieses Phänomen im Alltag und bei der Lebensgestaltung zu nutzen. |
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