Religiosität als künstlicher Gefühlszustand

   

Nachfolgend einige authentische Schilderungen über Drogenerfahrungen:

Rundum erschütternd, langfristig nachwirkend und respekteinflössend eiskalt war die das ganze Wesen durchtränkende Erfahrung eines LSD-Trips und insbesondere dessen mehrfach wiederkehrende Flashbacks. Ich benötigte etwa vier Wochen um die Erfahrung soweit sedimentieren zu lassen, dass sich meine Psyche wieder etwas beruhigt hatte. Aber ich kann nicht vermitteln, was nun das eigenartige an dem Erlebnis war. Sehr viel von dem Erlebten fand sich in einem Buch von Alduous Huxley über seine eigenen Erfahrungen mit Mescalin wieder.

  Volle Titelangabe sowie Link zu Zitaten aus dem BuchLiteraturtipp: Aldous Huxley (1894 bis 1963) beschrieb die Wirkung von Mescalin, das teilweise ähnlich wirkt wie LSD.

Vom Wunder der Seele (Seelengrund)Der christliche Geleherte Meister Eckehart (1260 bis 1329) über seine mystischen Gotteserfahrungen

Den eigentlichen Trip vollzog ich mit zwei guten Kumpels. Soweit ich mich recht erinnere saßen wir im frühen Nachmittag in einem dunklen aber gemütlichen Zimmer beisammen und nahmen die kleinen Gelatineteilchen mit der Droge ein. Nach wenigen Minuten begann die mentale Achterbahnfahrt. Meine bildliche Phantasie wurde unermesslich beschleunigt. An einem von der Wand herabhängenden weissen Laken sah ich plötzlich groteske Gesichter die sich auch noch zu bewegen anfingen. Natürlich sah ich diese Einbildungen niemals als reell an, aber sie erzeugten sich ohne mein Zutun von selbst und waren von faszinierender Detailfreude und Skurrilität. Und dann brach plötzlich und explosionsartig in einem Big Bang Erlebnis jede Menge Unbewusstes in tausend zersplitterten Fragmenten ins Bewusstsein. Alles Wahrgenommene verzerrte sich ins Lächerliche oder zutiefst Ergreifende. Die Gedanken rasten. Einzelne Bilder und Ideen schienen trotz ihrer schwindelerregenden Kurzlebigkeit ein Verständnis des gesamten Universums zu beinhalten. Huxley spricht hier vom "knowledge at large" und verweist auf die "kosmische" Dimension der Erfahrung.

Rhythmus wurde zwanghaft. Heute, lange nach der Erfahrung, könnte ich mir vorstellen, dass ein Computer dessen Taktfrequenz plötzlich vervierfacht wird ohne dass seine Peripherei und Busse angepasst werden sich ähnlich fasziniert und überfordert fühlen dürfte. Mein Gehirn war zu klein und zu langsam um das Feuerwerk an genialen Philosophieblitzen auch nur kurzfristig speichern zu können. Ich versuchte mit einer Schreibmaschine einiges aufzuschreiben. Leider ging die Seite inzwischen verloren, aber keiner von uns Beteiligten konnte kurz nach dem Trip auch nur das Geringste mit den Ergüssen anfangen. Und das obwohl wir während des Trips von der tiefen Bedeutung des Niedergeschriebenen überzeugt waren. Ein Kasten Bier war binnen kürzester Zeit leergetrunken. Das LSD überlagerte alles. Vom Bier war keinerlei dämpfende Wirkung zu verspüren. Wir hörten Musik. Wenn die Gedanken plötzlich unerträglich fordernd und erregend wurden, korrelierte dies fast immer mit aufpeitschend orgiastischen Rhythmen der Musik, obwohl ich diese oft gar nicht bewusst wahrnahm. Spät am Abend schlief ich dann völlig erledigt ein. Die Erfahrung erfüllt mich noch heute mit Ehrfurcht.

Am nächsten Morgen wachte ich mit einem Gefühl losgelösten Ausgebranntseins auf. Ich war auf einer philosophischen Ebene entrückt. Der Alltag interessierte mich überhaupt nicht mehr. Und dennoch funktionierte ich äusserlich vollkommen normal. Meine Umwelt nahm ich als durch und durch mechanisch war. Meine Mitmenschen waren Roboter. Ihre Stimmen schienen mir genauso wie meine eigene aus einer fremden Welt zu kommen. Sie betrafen mich nicht. Und dennoch antwortete ich diesen Stimmen. Aber auch die Antwort kam aus einer anderen Welt und hatte nichts mit mir zu tun.

Vom Wind zerfetzte Wolken oder ruhig dahinplätschernde Bäche stimulierten Bilder äonenhafter Zeitlosigkeit: Schweigende Steinkohlenwälder, die Erde vulkanübersät und unbelebt, die ersten Pflanzen besiedeln die bis dahin leblose Welt, die unendliche Eiseskälte und Leere des Weltraums, das ameisenhafte Wimmeln von abermillionen Menschen seit der Steinzeit über das römische Reich, den zweiten Weltkrieg hinweg bis heute. Derartige Bilder hielten ein ständiges Stelldichein in meinem Kopf. Ein alter Bekannte aus England den ich nach Jahren zum ersten Mal wieder sah frug mich „how are you?“ Ich antwortete mit der Ehrlichkeit des Selbstverständlichen „I just am“. Mehr konnte ich nicht sagen. Was immer sich in mir damals in den vier Wochen nach dem Trip als „Ich“ empfand, hatte nicht mehr viel mit den Empfindungen des Wesens zu tun das Gunter Heim hieß. Das einzige was ich damals intensiv empfand war eine tonnenschwere, lungenerdrückende Sinnhaftigkeit allen Seins. Tote Gegenstände oder formenreiche Bäume strahlten eine pulsierende Bedeutung aus (so wie auf den Bilder von Van Gogh dargestellt). Alles war von unsagbarer kosmischer Wichtigkeit. Eine dicke Baumwurzel im dichten Unterholz schien überzufliessen mit einer Konzentration auf ihr eigenes Sein. Eine Tasse erfüllte einen ganzen Raum mit dem Stolz ihres Seins. Alles war göttlich durchwirkt. Das einzige was bei diesen Erfahrungen fehlte war Wohlbefinden. Geborgenheit war niemals Teil dieser Empfindungen. Das Göttliche kümmerte sich nicht um das Wohl der Menschen. Sie sind ihm zwar unendlich wichtig, nicht wichtig sind ihm aber ihre Wünsche und ihr Glück. Das Kleine strahlte eine unendliche Bedeutung aus, aber niemals seiner selbst Willen sondern stets nur im Hinblick auf das Ganze. Mein damals vorherrschender Gefühlszustand könnte als kosmisches Empfinden beschrieben werden. Details wie einzelne Menschen, Familien oder Staaten waren nur Streicher in einem klangvollen Konzert. Was zählte war der Klang, noch nicht einmal das Orchester selbst. Alles ist Mittel zu einem gnadenlos an uns desinteressierten und fordernden Zweck. Bei Huxley glaube ich dieses Gefühl unter dem Begriff "Istigkeit" wiedergefunden zu haben. Konnte man hier den göttlichen Willen spüren, wie es so treffend in einem Zitat von Olaf Stapledon beschrieben ist?

  Suchbegriffe zum Themenfeld Drogen, Mystik und BewusstseinSuchtipp Internet:
  • Timothy O`Leary: Drogenguru aus den 1960er Jahren
  • Carlos Castaneda: Autor von Büchern über mystische Drogenerfahrungen
  • Philippe de Félice schrieb über Drogen und Religion

Quellenangabe: Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum RationalenLiteraturtipp: der katholische Theologe Rudolf Otto über "numinose" Erfahrungen. Viele der von ihm beschriebenen Gefühlszustände erinnern an Drogenerfahrungen.

Extrakte aus einem Artikel der ZEIT vom 7. März 2002Wissenschaftler gehen der Frage nach, mit welchen objektivierbaren Hirnzuständen religiöse Erlebnisse einhergehen. Stichwort: "Neurotheologie"

Gefühlskalt, übermächtig und ein Bisschen genial. Ist das Gott? Literaturtipps zu Olaf Stapledon

Ich empfand die Welt und ihren Zweck so wie die russische Hündin „Laika“ uns Menschen empfunden haben mag, hätte sie verstanden was mit ihr geschah. Laika wurde an Bord eines Satelliten in den Weltraum geschossen und diente dort verschiedensten Versuchen. Diese Versuche waren eine Grundlage für die bald folgende bemannte Raumfahrt. Die sowjetischen Experimentatoren liessen Laika wahrscheinlich vor und während der Versuche alle erdenkliche Aufmerksamkeit und Hilfe angedeihen. Sie war von höchster Wichtigkeit und von ihrem Wohlergehen hing der Zweck des Ganzen Unternehmens ab. Als aber die Versuche abgeschlossen waren und sie ihren Zweck erfüllt hatte, musste Laika einen sicherlich qualvollen Tod in ihrer engen Raumkapsel sterben. Soweit ich mich recht erinnere, musste sie ersticken. So wie sich die Menschen damals um Laika sorgten und kümmerten, so ähnlich glaube ich, kümmert oder interessiert sich auch unser Schöpfer für uns und unser Wohlergehen. Nicht mehr. Genau dieses Gefühl hatte ich während und nach dem LSD-Trip: Wichtigkeit, Bedeutungsschwere und Kälte.

Von diesem Gefühlszustand ist dauerhaft viel in mir zurückgeblieben. Obzwar mein Körper mit Stress auf Belanglosigkeiten, wie etwa auf das Gefühl der Überforderung im Arbeitsloeben, reagiert, ist irgend etwas in meinem Gehirn davon vollkommen entrückt und betrachtet selbst Momente erregter Emotionalität mit kaltem, nüchternen Interesse.

Ähnlich wie das LSD wirkten die halluzinogenen Pilze. Vermisst habe ich aber die „vier Wochen danach“ und die zwingende Intensität des eigentlichen Trips.

Von einer ganz anderen Machart war das Rohopium. Ich nahm es in angenehmer Umgebung ein, nachdem ich schon einiges an Marihuana konsumiert hatte. Im Hintergrund floss leise melodienreiche Musik aus einem Kasettenrekorder. Einige Zeit nach Einnahme des Opiums spürte ich deutlich eine klar vom Marihuana unterscheidbare Wirkung. In krassem Gegensatz zur kosmischen Kälte des LSD Stand die Opium-Erfahrung ganz unter dem Motto des Wohlseins. Ich mit meinem Körper und meinem Wünschen war nicht mehr ein mikroskopische kleiner Statist in einem unendlich grossen Universum, sondern ausser mir und meinen Wünschen gab es sonst nichts von Wichtigkeit. Ich hatte einen phantastischen Wachtraum: Ich stand auf der Kommandobrücke einer fliegenden Untertasse und blickte aus einem riesigen Fenster. Es war gut 1,5 Meter hoch und 5 Meter breit und mit einer flachen Krümmung um mich herum gebogen. Das Fenster schloss sich unmittelbar oberhalb eines ebenso gewölbten Steuerpultes an. Von den seitlichen Wänden und dem Steuerpult ging ein unbeschreiblich wohliges helleorangenes Licht mit wärmender Wirkung aus. Das Schiff schwebte auf die Erde zu, die zunehmend das Blickfeld des Fensters einnahm. Mit leichten weitgezogenen Schwüngen schwebten wir auf das Amazonasbecken zu. Ich federte die Richtungsänderungen souverän mit meinem Beinen ab, ganz wie Tarzan nach einem Lianenstunt auf den Boden auffedert. Etwa 2km unter dem Schiff wand sich dann ein Flusssystem durch den dunkelgrünen Urwald. Einige hundert Meter oberhalb eines breiten Gewässers bremsten wir mit einer schwungvoll sanften Kurve den rasanten Sinkflug ab und folgten den Flusskonturen. Am Horizont sah man die Anden, die schnell näherkamen. Hier endete der Wachtraum. Er ist so ziemlich das angenehmste woran ich mich erinnern kann. Nicht der Inhalt selbst, sondern die dazu im Hintergrund ablaufenden Gefühle fand ich das Faszinierende. Ich kann mir gut vorstellen, dass diese Droge bereits nach einem zweiten Trip seelisch abhängig machen könnte. Ich fühlte mich als Angelpunkt des Universums. Alles war auf mein Wohlseins und perfekte Harmonie eingerichtet. Es gab keine Dissonanzen. Es war göttlich paradiesisch. In Erinnerung an diesen Zustand fällt es kaum schwer sich einen Gott der Liebe vorzustellen.

Neben den eigentlichen Gefühlszuständen während der einzelnen Trips war aber auch eine abstraktere Erkenntnis von grossem Interesse für mich. Wie beständig, wie einzigartig und wie frei können denn meine Persönlichkeit, mein Wille und Bewusstsein sein, wenn sie durch einfache und geringfügige Manipulation der materiellen Welt auf derart krasse Weise verändert werden können? Kann ich meinem Bewusstsein denn irgendeine Form der Freiheit zugestehen, wenn einige Mikrogramm LSD oder alternativ Opium darüber entscheiden, ob ich die Welt liebesdurchtränkt wohlig oder als eiseskalt und desinteressiert an mir empfinde?

  The mystery of the "I"Olaf Stapledon beschreibt das "Ich" als etwas höchst Mysteriöses

Gottes Gesicht schimmert hinter den Sternen hervor und zeigt sich in vielfacher symbolischer Offenbarung.Olaf Stapledon über die Unergründlichkeit des göttlichen Wesens, in: Nebula Maker


Literatur zu Drogen & Bewusstsein

James, W.: The Varieties of Religious Experience. Darin: Lectures 16 and 17 Mysticism. Geschrieben um 1900. Heute erhältlich über Touchstone, New York. ISBN: 0-684-84297-1. Systematische Beschreibung religiöser Erlebnisse.

Huxley, A.: The Doors of Perception“ and „Heaven and Hell“, Penguin Books, 1954. Philosophisch interpretierte Erfahrungen mit der Droge Mescalin. Einige Zitate aus Huxleys Buch über Drogenerfahrungen mit Mescalin

 

Literaturliste Bewusstsein, Physik, Religion etc.Weitere Literatur zum Thema Bewusstsein, Drogen, Physik etc.

   
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