Sachzwänge gegen individuelle Freiheit

   
Auf dieser Seite möchte ich einige Beispiele dafür aufführen, über welche sachzwangähnlichen Mechanismen das Diktat ökonomischer Effiziens auf einzelne Menschen einwirkt. Die Handlungsfreiheiten einzelner Menschen werden zugunsten einer Renditesteigerung von Unternehmen eingeschränkt. Typischerweise empfinden wir aber bei weitem nicht alle Einflusswege als Zwang. Es kann aber auch als Zwang interpretiert werden, wenn der Entscheidungsraum eines Menschen eingeengt wird, ohne dass ihm dies bewusst ist oder er freiwillig einwilligt. Einige der nachfolgenden Beispiele zielen genau darauf ab.    

Mitarbeiter füllen bestimmte, vorgegebene Rollen aus. Themensprung: Erfolgsdruck aus darwinistischer Sicht: Evolutionäre Ökonomie

   
Das Bild oben soll versinnbildlichen, dass äussere Zwänge auf ein Unternehmen einwirken. Diese Zwänge äußern sich unter anderem darin, dass das Unternehmen bestimmte Organisationsformen und Abläufe annimmt. Der einzelne Mitarbeiter hat dann kaum mehr Gestaltungsfreiräume, um auf die genaue Ausgestaltung eines Arbeitsplatzes Einfluss zu nehmen. Er muss sehen, dass er die ihm vorgegebene Rolle optimal ausfüllt.    
Versucht er aus der sozial oder formal definierten Rolle auszubrechen oder weicht er unwillentlich vom Soll-Zustand ab, so spürt er in der Regel recht schnell korrigierende Kräfte: ausbleibende Anerkennung, offene Ablehnung durch Kollegen, ein vertrauliches Gespräch mit dem Chef, Herabsetzung einer leistungsabhängigen Prämie, Statusentzug (weniger Blickkontakt, Schneiden in Gesprächen, Informationsvorenthaltung etc.), Beauftragung mit "minderwertigen" Arbeiten.    
Nachfolgend sind einige Kontrollmechanismen aufgeführt, die dafür sorgen, dass Menschen die ihnen vorgegebenen Rollen nicht über Gebühr verlassen. Tun sie dies doch, so die Argumentation, dann werden sie sich schon bald spürbare finanzielle und direkt oder indirekt auch gesundheitliche Nachteile einhandeln. Und damit werden sie mehr oder minder direkt auch weniger Nachkommen in die Welt setzen, womit ein Mechanismus etabliert wird, dass ökonomische Sachzwänge recht unmittelbar den Genpool der Menschen verändern können.    

Idee aus Charlie Chaplins Film "Moderne Zeiten"
Der Mensch als funktionsreduziertes Bauteil
im Räderwerk der Effiziens?

Dass die obige Metapher weiter an Wahrheit gewinnt, dazu tragen die folgenden Mechanismen bei:

   

Beispiel 1: Qualitätsmanagement

Eine zunehmende Anzahl von Unternehmen scheint einen ökonomischen Zwang zu empfinden, sich bezüglich eines Qualitätsmanagements zertifizieren zu lassen.

Ein wesentlicher Bestandteil der Zertifizierung ist es, Abläufe im Unternehmen nachvollziehbar zu beschreiben und festzulegen. Dadurch werden selbstverständlich auch die persönlichen Entscheidungsfreiheiten von Mitarbeitern genau definiert - und somit begrenzt.

   

Beispiel 2: Work-Flow Engines

Viele Standardabläufe in einem Unternehmen lassen sich mit Hilfe von Software fest verdrahten. Geht beispielsweise eine Anfrage für ein bestimmtes Produkt ein, so kann dies automatisiert eine Benachrichtigung bestimmter Leute auslösen. Zusätzlich können automatisiert bestimmte Formulare an wieder bestimmte Stellen geleitet werden. Die Software regelt auch die Erbringung von elektronischen Unterschriften und gibt beispielsweise eine Angebotserteilung erst dann frei, wenn alle nötigen Formalitäten erfüllt sind. Was einzelne Mitarbeiter wann und wie zu erledigen haben, wird durch eine solche Software sehr eng vorgegeben. Da Work-Flow Programme dem Benutzer viel Routine-Arbeit abnehmen, werden sie von Mitarbeitern meist als Erleichterung und nicht als Zwang empfunden.

   

Beispiel 3: Tests vor der Einstellung & Elternwünsche

Wenn Firmen im Zusammenhang mit Bewerbungen einmal Gesundheitstest bis hin zu vollständigen Gentests verlangen dürfen, dann werden Menschen frühzeitig darauf achten, dass sie die von den Firmen geforderten Eigenschaften auch erbringen können. Wenn dann zusätzlich einmal Eltern mit Hilfe der Präimplantationsdiagnostik oder sogar über die gezielte Manipulation von Genen einen Einfluss auf Körper und Psyche ihres Nachwuchses haben könnten, dann entsteht ein sehr wirkungsvoller Regelmechanismus: Unternehmen formulieren ganz neutral ihre "Traummitarbeiter" für bestimmte Positionen und Aufgaben und potentielle Eltern erzeugen daraufhin ihre "Traumkinder", nämlich solche Kinder, die im späteren Berufsleben einmal eine "Chance" haben werden. Welches Elternpaar würde nicht der Versuchung erliegen, mit einer gewissen hohen Wahrscheinlichkeit ein Kind zu zeugen, welches in einem bestimmten Beruf hohe Erfolgschancen hätte? Bei diesem Mechanismus tritt nirgends ein unmittelbar empfundener Zwang auf. Lediglich Eltern die ihre Kinder nicht gentechnisch optimieren wollen, würden einen mehr oder minder großen Nachteil im späteren Leben haben. Aber auch dieser Nachteil wäre durch den Verzicht auf eine Genmanipluation ja freiwillig in Kauf genommen und somit kein Zwang.

   

Beispiel 4: Persönlich zugeschnittene Krankenversicherungsleistungen

In den Medien werden die hohen Kosten für das Gesundheitswesen fast schon als Dauerthema behandelt (um das Jahr 2000 auf jeden Fall). Entsprechend hoch ist die Bereitschaft neue Modelle der Krankenversicherung auszuprobieren und früher eher tabuisierte Praktiken auszudehnen, sofern sie kostensenkend für den Staatshaushalt wirken könnten.

  In der SPD-Parteizeitschrift "Vorwärts" vom September 2002 wird auf Seite 10 die politische Forderung erhoben, dass Gesundheit nicht vom Gelbeutel abhängen darf. Das Solidaritätsprinzip soll auch weiterhin gelten.
Einer diese Wege ist die zunehmende Preisgabe des Systems einer solidarischen Vollversorgung von Krankenversicherten. Die Leistungen von Krankenversicherungen sollen immer mehr auf die "Patientenbedürfnisse" zugeschnitten werden, ganz so als ob nicht das Bedürfnis aller Menschen nach einer möglichst umfassenden Versorgung gleich große wäre!    
Es bedarf keiner großen Phantasie um zu sehen, dass damit Geringverdiener im Schnitt schlechter versorgt werden als Besserverdienende. Wenn sich dies mit dem oben beschriebenen Mechanismus 3 kausal verknüpft, dann haben wir die folgende selektionswirksame Situation: Personen die von ihren Eltern nicht auf ihre Berufseignung hin gentechnisch optimiert worden sind, werden mit einer gewissen statistischen Korrelation eher zu den schlecht als gut verdienenden Menschen gehören. Sie werden dann zwangsläufig auch eine minderwertige Gesundheitsversorgung erhalten. Dies kann wiederum dazu führen dass unter bestimmten gesellschaftlichen Randbedingung deren Zeugungsfähigkeit (sterben früher, sind oft krank) oder ihr Zeugungswille vermindert ist. Und dann haben wir eine ganz klassische darwinistische Selektion.    

Beispiel 5: Informationsfilterung

Man hört alltenthalben Klagen über Reizüberflutung und Belastungen durch Informationsmüll. Seit etwa 1997 nehmen sich eine Reihe von Softwareherstellern dieser Problematik intensiv an und es enstanden bereits viele Lösungsansätze:

   
  • Anwenderdefinierbare Filter für E-Mails
  • Workflow Software leitet Informationen zielgerichtet mit geringer Adressatenstreuung weiter
  • Browser erkennen die Präferenzen von Surfern und bieten gezielt darauf ausgerichtet Informationen an
  • Assoziative Datenspeicher führen zielgerichtet zu gesuchten Daten, der Benutzer wird mit weniger irrelevanten Informationen konfrontiert
  • Collaborative Filtering: bestimmte Mechanismen sorgen dafür, dass der einzelne Anwender nur solche Informationen sieht, die gerade für die gesamte Gruppe (z. B: das Unternehmen) wichtig sind.
  • Group Awareness Engines sorgen dafür, das Gruppenarbeit zeitlich optimal synchronisiert wird.
   
Informationsfilterung ist ein weiteres gutes Beispiel für versteckte Zwänge. Jeder einzelne wird eine intelligente Filterung von Information als sinnvoll erachten. Gleichzeitig verliert er aber auch Kenntnis über die ihm vorenthaltenen Informationen. Je mehr die Filterung von übergeordneten Mechanismen und nicht mehr vom Endbenutzer selbst kontrolliert und durchschaut wird, desto weniger Kontrolle hat der einzelne Benutzer auch über sein Wissen! Auch hierin liegt die Gefahr eines erheblichen Kompetenzverlustes.    
Zweifelsohne werden aber Mechanismen zur Informationsfilterung in Unternehmen zwangsläufig an Bedeutung gewinnen, alleine schon um die Arbeitszeit der Mitarbeiter optimal auszunutzen. Letztendlich wird jeder Mitarbeiter nur solche Informationen erhalten, die für seine unmittelbare Tätigkeit notwendig sind.    

Beispiel 6: Mobbing bei Funktionsverlust

Wenn man verschiedenen Veröffentlichungen und Medienberichten glauben schenken darf, dann ist Mobbing in Deutschland ein erhebliches Problem. Mitarbeiter werden von Kollegen gezielt psychisch unter Druck gesetzt. Der Effekt ist meist der gleiche: der Mitarbeiter räumt seinen Platz; sei es durch freiwillige Kündigung, durch Versetzung auf eine andere Stelle, durch dauerhafte Krankheit oder im Extremfall durch stressbedingten Tod.

   
Aus Sicht eines Unternehmens kann Mobbing durchaus nützlich sein: Mitarbeiter die ihre Leistung tatsächlich oder vermeintlich nicht erbringen werden durch diese brutale Form sozialer Missbilligung "wegselektiert". In Zusammenhang mit den oben beschriebenen Mechanismen kann dies dazu führen, dass sie weniger Nachkommen erzeugen: Stress macht unfruchtbar, sie sterben früher, sie sind öfters krank. Auch hier findet sich also ein Wirkungsmechanismus, der auf niederster darwinistischer Ebene dazu beiträgt, dass Menschen, die ökonomischen Vorgaben nicht genügen ausselektiert werden.    
Freilich wird man kaum einem bewusst denkenden Menschen unterstellen können, dass er gezielt und planmäßig mobbt. Aber vielleicht ist Mobbing ein gruppenstabilisierendes Verhalten, welches über die Jahrmillionen menschlicher Evolution so fest in uns verdrahtet wurde, dass es uns selbst kaum bewusst wird (solange wir nicht die Opfer sind).    

Typische Beispiele in diesem Sinn sind etwa:

  • Mitarbeiter werden "versehentlich" vom Sekretatiat nicht zu Feiern eingeladen und keiner kann nachher erklären wie das passieren konnte
  • Bei Besprechungen werden gezielt Mitarbeiter "keines Blickes gewürdigt"
  • Treffen sich mehrere Leute, zeigt man einem Mitarbeiter gezielt die Schulter: das Opfer steht plötzlich außerhalb eines Gesprächskreises
  • Das Opfer wird bei der Besprechung wichtiger Dinge gezielt nicht nach seiner Einschätzung gefragt, obwohl sie wichtig wäre oder er formal dazu verpflichtet wäre.
  • Das Opfer erhält ein abseits gelegenes Büro.
  • Für das Opfer ist es fast unmöglich, über das Sekretartiat einen Termin beim Chef zu kriegen, immer wieder kommt zufällig etwas anderes dazwischen.
  • Werden mehrere Personen einander vorgestellt, wird das Opfer zufällig vergessen
  • Es wird in Abwesenheit des Opfers tuscheln über dieses gelästert. Taucht das Opfer unverhofft auf, so sterben plötzlich alle Gespräche ab und es herrscht eine klar zu deutende, peinliche Stille.
  • und so weiter und so weiter
   

Beispiel 7: Leistungsabhängige Gehälter

Abgesehen vom Akkord war eine leistungsabhängige Bezahlung früher vor allem den höchsten Führungskräften in Unternehmen vorbehalten. Seit den 1990er Jahren ist aber eine Tendenz erkennbar, Tantieme-Regelungen zunehmend auch auf das mittlere Management auszudehnen. Auch hierin ist ein Mechanismus zu sehen, mit Hilfe dessen der Unternehmenswille zum persönlichen Willen einzelner Mitarbeiter gemacht werden kann. Und auch diese Regelung kann auf Dauer selektiv auf das Genpool der Menschen einwirken: Leistungsstarke Mitarbeiter leisten sich bessere Krankenvesicherungen und sie können mehr Kinder versorgen.

   

Beispiel 9: Versicherungen verlangen Gentests

Aus den Vereinigten Staaten von Amerika hört man immer wieder, dass Kranken-, Lebens- und vielleicht auch Berufsunfähigkeitsversicherungen vor einem Vertragsabschluss Gentests von ihren Kunden verlangen wollen um danach die Prämie festzusetzen.

   
Wenn sich diese Praxis einmal durchgesetzt haben wird und zusätzlich Eltern über die genetische Zusammensetzung ihrer Kinder mitentscheiden können, dann wird auch hier ein sich selbst verstärkender Kreislauf einsetzen: Der Genpool der Menschen wird sich dramatisch hin zu "immer gesünder" und wahrscheinlich auch hin zu "immer leistungsfähiger" im Bezug auf bestimmte berufliche oder gesellschaftliche Anforderungen entwickeln.    

Fazit

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Genpool der Menschen und damit auch das Erscheinungsbild von Individuen in den nächsten Jahrzehnten erheblich ändern könnte wird vor allem dann rapide ansteigen, wenn sich drei Tendenzen miteinander verbinden:

  1. Die offene Formulierung von Soll-Mitarbeitern durch Unternehmen,
  2. Das subjektive Gefühl oder der objektive Tatbestand einer Benachteiligung im Falle geringerer beruflicher "Fitness" durch Einzelpersonen,
  3. Die Möglichkeit die Gene der eigenen Nachkommen aktiv und zielgerichtet zu verändern oder zu selektieren.

Die ersten beiden Voraussetzungen sind heute bereits gegeben, Punkt drei wird vielleicht in naher Zukunft erfüllt werden.

   
Idee nach La Mettrie: der Mensch als Maschine? Themensprung: Der Laplace-Dämon und philosophische Gedanken über die Freiheit des Willens...    

1 Ebene höher: Startseite Endomorphose der Menschheit 2 Ebenen höher: Startseite Seelengrund
 

E-Mail Adresse
Kontakt