Chronik einer Endomorphose, 29. Mai 2000

Pierre Teilhard de Chardin: ein Jesuit erahnte schon um 1930 einen globalen Übermenschen.

De Chardin war ein französischer Jesuitenpater. Er lebte von 1881 bis 1955. Von offizieller katholischer Seite aus wurden seine Lehren über das Wesen Gottes, über die Natur des Materie und über den Gang der Welt mit Mißtrauen betrachtet. In der wissenschaftlichen Welt anerkannt wurde er für seine paläontologischen Arbeiten.

Von 1923 bis 1946 lebt er in China, dann, bis 1951, kurz in Paris und bis zu seinem Tod in Neu York (USA).

Schriften de Chardins kann man heute, im Jahr 2000, über jede beliebige Buchhandlung beziehen. Die meisten Bibliotheken führen seine Schriften.

Bereits zur Zeit des ersten Welkrieges, um 1916, begann Chardin weltphilosophische Schriften über die Natur der Materie zu produzieren. Dies war die Zeit, zu der Einstein seine allgemeine Fassung der Relativitätstheorie formulierte.

Chardins Philosophie lässt sich wie folgt umreissen: Jegliches Materie ist zugleich auch Geist. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Seit Anbeginn der Welt, läuft alles auf immer komplexere Organisationsformen hinaus. Auf jeder Organisationsstufe entstehen personalisierte Wesen mit geistigem Vermögen. In ihnen wirkt Gott, in ihnen laufen die Fäden des Weltgeschehens zusammen. Im Endzustand, dem "Punkt Omega" in Chardins Schriften, besteht der gesamte Kosmos aus einem personalisierten Wesen, welches identisch sein wird mit Gott.

Chardin betrachtet diese Entwicklung als zwangsläufig. In der dreißiger Jahren und während des zweiten Weltkrieges verfasste er Aufsätze über die Entstehung der "Super-Menschheit". Obgleich er noch kaum etwas von der Entstehung des Internet ahnen konnte, beschreiben viele seiner Zitate die aktuelle Entstehung eines "globalen Organismus" in treffender Weise.

Chardin gehört zu einer Reihe von Autoren, die ihrer Zeit weit voraus waren:

  • Aldous Huxley (Brave New World, geschrieben um 1930)
  • Thomas Morus (Utopia, geschrieben um 1516)
  • Olaf Stapledon (Star Maker, Last and First Men, geschrieben um 1930)
  • George Orwell (1984, geschrieben um 1948)
  • H. G. Well (The Time Machines, geschrieben um 1934).

Diesen Autoren sozialer Fiktion ist teilweise gemein, daß sie zukünftige Entwicklungen der Menschheit unter zwei Aspekten betrachten: die Herausbildung dramatisch verschiedener Menschentypen zur Erledigung verschiedener sozialer Aufgaben sowie die Entstehung kollektiver, personalisierter Lebensformen, in denen das Individiuum ganz in etwas Größerem aufgeht. Hierin kommen sich Stapledon und Chardin am nächsten.

Im Folgenden werden einige Zitate von Chardin in ihrem Bezug zur aktuellen Entwicklung sowie neueren Erkenntnisse der Phyisk aufgeführt. Es fällt auf, daß Chardin wie auch andere Visionäre stets von einem religiösen Grundbestreben erfasst war.

  • "Wir haben bisher unsere Rasse gewiß auf gut Glück wachsen lassen und nur ungenügend über das Problem nachgedacht, durch welche medizinischen und sittlichen Faktoren es notwendig ist, die brutalen Kräfte der natürlichen Zucthwahl zu ersetzen, wenn wir sie unterdrücken. Im Lauf der kommenden Jahrhunderte muß unbedingt eine unserem Persönlichkeitsniveau entsprechende, humane und edle Form von Eugenik gefunden werden." (aus: der Mensch im Kosmos. Peking, Juni 1938-Juni 1940, S. 291-293, geschrieben zu einer Zeit, als die deutschen Truppen Polen, Benelux, Frankreich, Norwegen und Dänemark gerade eroberten). Chardin schrieb dies durchaus nicht in zynischer Stimmung. Er erwähnte, daß die instinkthaften Vorbehalte gegen ein Pfuschen mit der Natur überwunden werden müssten.
  • "Es gibt auf der Welt weder Geist noch Materie: der Stoff des Universums ist Geist-Materie." (aus: Skizzen eines personalen Universums. Peking, 4. Mai 1936, S. 75-78). Wußte Chardin damals etwas über die ersten Befunde der Quantenphysik? Wußte er, daß große Physiker - darunter Nobelpreisträger - über eine eventuell untrennbare Wechselwirkung und gegenseitige Bedingung von Materie und Bewußtsein nachdachten?
  • "Unter Super-Menschheit verstehe ich den höheren biologischen Zustand, den zu erreichen der Menschheit bestimmt scheint, wenn sie, die Bewegung, aus der sie historisch hervorgegangen ist, bis ans Ende vorantreibend, dahin gelangt, sich vollständig mit Leib und Seele in sich zu totalisieren. So definiert, ist die Super-Menschheit nicht, wie man häufig zu glauben vorgibt, ein ideologisches oder sentimentales Ding, ein Traum oder eine Utopie. Sie stellt vielmehr, ohne daß die meisten Leute das auch nur ahnen, bereits eine Wirklichkeit oder zumindest etwas unmittelbar Bevorstehendes wissenschaftlicher Ordnung dar ... Hinter uns gewiß eine Unter-Menschheit, vor uns folglich und ebenso gewiß eine Super-Menschheit - die einzige Wirklichkeit, das sei am Rande bemerkt, die fähig ist, die Millionen von Jahren auszufüllen und zu rechtfertigen, die dem Denken vielleicht noch bleiben, um sich auf der Erde zu entwickeln." (aus: Super-Menschheit, Super-Christus, Super-Caritas. Neue Dimensionen für die Zukunft. Perking, August 1943, Seiten 204-217, geschrieben zu einer Zeit als sich deutsche und sowjetische Panzer gerade die größte Panzerschlacht aller Zeiten bei Kursk geliefert hatten und Japan mit Amerika im Pazifik kämpfte).
  • "...das Gesetz der Komplexität. Nachdem sich die Physiko-Chemie lange Zeit hindurch von den Phänomenen des atomaren Zerfalls hatte fesseln lassen ... wendet diese Wissenschaft ihre Aufmerksamkeit endlich der entgegengesetzten Bewegung zu, die in den gemäßigten Zonen des Universums wie der Erde dahin tendiert, die Moleküle zu immer großartiger komplizierten Super-Molekülen zu gruppieren." (aus: Super-Menschheit, Super-Christus, Super-Caritas. Neue Dimensionen für die Zukunft. Perking, August 1943, Seiten 204-217, geschrieben in einem Monat, in dem 25 deutsche U-Boote durch Feindeinwirkung verloren gingen). Forderte Chardin hier bereits eine Chaos- oder Komplexitätstheorie?
  • "...das Gesetz der Kephalisation. Bei welcher Tiergruppe man auch immer ... die Evolution studiert, es ist ein bemerkenswertes Faktum, daß das Nervensystem mit der Zeit in allen Fällen an Umfang und an Anordnung zunimmt ... triftet alles Leben, das ganze Leben ... wie eine aufsteigende Flut in die Richtung der größeren Gehirne". (aus: Super-Menschheit, Super-Christus, Super-Caritas. Neue Dimensionen für die Zukunft. Perking, August 1943, Seiten 204-217, geschrieben zu einer Zeit als Hamburg gerade durch englischen Bombenhagel vollständig zersört worden war und über 30.000 Menschen in bis zu 6000 Gard Celsius umkamen). Chardin verbindet die Idee der Kephalisation - der Hirnwerdung als zwangsläufige Entwicklung nicht explizit mit der Idee der Entstehung einer kollektiven Super-Menschheit. Fehlte ihm damals, mitten im zweiten Weltkrieg, noch das passende Analogon eines globalen oder gesellschaftlichen Nervensystems, wie es später die vernetzten Computer erzeugen sollten? Sicher ist, daß Chardin den Super-Menschen als ein personalisiertes Individuum betrachtete und nicht als bloß intelligente Ansammlung von Einzelwesen wie in einem Insektenstaat. Und nach seinem Gesetz der Kephalisation (cephal = hirnlich) erzwingt ein Individuum ein Gehirn.

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