Chronik einer Endomorphose, 17. April 2000

Als die Erde vor 4.5 Milliarden Jahren entstand dauerte es nicht lange, und es waren die ersten einzelligen Lebewesen auf ihr zu finden. Keine 500 Millionen Jahre hat dies wahrscheinlich gedauert.

Es dauerte aber 3.5 Milliarden weitere Jahre, bis aus den Einzellern über verschiedene Zwischenstadien von Zellkolonien höhere mehrzellige Organismen entstanden. Dann aber explodierte die ganze Chose. Die kambrische Artenexplosion vor gut einer halben Milliarde Jahre produzierte in geologisch kürzester Zeit aus Würmern, Quallen und derlei niederem Getier eine Fülle höherer intelligenter Tierformen mit Augen, Gehirnen, komplizierten Fang- und Kaumechanismen, Panzern etc.

Was beendete das dumpfe Dahindämmern der Einzeller und führte zur fast schlagartigen Entfaltung höherer Organismen? Viele Antworten werden vorgeschlagen: Klimawechsel, erhöhte Mutationsraten, chemische Änderungen im Urozean und so weiter.

Vielleicht aber war es einfach die Erfindung oder konsequente Ausnutzung der Potentiale der Nervenzelle. Zellkolonien hatten keine zentrale Datenverarbeitung. Sie hatten keine elektrische Informationsverarbeitung. Das aber hatten all jene Tiere welche uns als Ergebnis der kambrischen Artenexplosion entgegentreten.

Und dann verharrte die Entwicklung des Lebens abermals eine lange Zeit auf nahezu einer Komplexitätsstufe. Die höheren Organismen besiedelten zwar das Land, sie brachten die Dinosaurier und die Vögel, die Wale und letztendlich die Menschen hervor. All dies ist aber kein Quantensprung der Komplexität verglichen mit dem Entwicklungssprung vom Einzeller oder hirnlosen Zellkolonien zu Organismen mit Zentralnervensystemen.

Die nächste kambrische Artenexplosion steht nun bevor. Heute. Im 21. Jahrhundert. Die "Zellkolonien" welche die Ansammlungen höherer tierischen Organismen auf der Erdoberfläche darstellen (z. B: Städte) haben die Nervenzelle auf einer nächst höheren Komplexitätsstufe neu erfunden: der Computer. Das Internet als Vorläufer eines globalen Nervennetzes fasziniert bereits seit 1985 eine Reihe ernstzunehmender Wissenschaftler.

Und die Organismen die entstehen enstehen aus wirtschaftlichen Unternehmen. Aus zweierlei Gründen wird dies so sein. Zum ersten bilden Unternehmen klar abgrenzbare Strukturen mit einer einheitlichen Zielsetzung und zum zweiten konkurrieren Populationen von Unternehmen in einem Kampf aller gegen jeden untereinander um die begrenzte Ressource "Kapital". Der Selektionsdruck wird die erfolgreichsten Unternehmen herausfiltern und deren Verbreitung begünstigen. Die erfolgreichsten werden aber gerade jene mit einem eigenen Zentralnervensystem sein. Mit Computernetzen.

Und so wie vielleicht in der vorkambrischen Zeit vor über 500 Millionen Jahren die Vorläufer der Nervenzellen einmal eigenständige Einzeller waren, so sind wir Menschen noch heute eigenständige Individuen.

Und so wie die Nervenzellen später eine Symbiose mit anderen Zellen eingingen um letztendlich in höheren Organismen aufzugehen, so werden auch wir Menschen - oder besser gesagt unsere Gehirne - mit den Computern eine Symbiose eingehen und in einem höheren Organismus aufgehen.

Und es wird die Evolutionsgeschichte dieser höheren Organismen - der Unternehmen - sein, die einmal bestimmt, was aus uns "Endosymbionten" einmal werden wird.

Gründerzeit