Chronik gesellschaftlichen Wandels, 5. Okt. 2003

Der 8. Tag
Ein Computer übernimmt
die Weltherrschaft

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[1] Kurz vorgestellt wird das folgende Buch:

Titel: Der 8. Tag
Originaltitel: Mother of God
Verfasser: David Ambrose
Erscheinungsjahr: 1995
Verlag: Bastei Verlag Gustav H. Lübbe
ISBN: 3-404-12988-1

  <= Titelangabe
[2] Zunächst einmal hat David Ambrose einen spannenden Krimi geschrieben: In Kalifornien verübt ein psychopathischer Computerfachmann Serienmorde an jungen Frauen. Er spioniert seine Opfer zunächst über Computernetzwerke aus und macht dann unter dem Deckmantel plausibler Kontaktwünsche seinen tödlichen Termine mit den Opfern aus. Zeitgleich entwickelt eine junge Forscherin im englischen Oxford auf ihrem Rechner eine künstliche Intelligenz, die letztendlich sogar eine sprachbasierte Variante des Turing-Tests besteht: Ein menschlicher Tester kann die Maschine nicht mehr von einem echten menschlichen Gesprächspartner unterscheiden.   <= Die Handlung
[3] Im weiteren Verlauf der Forschungen entwickelt das Programm allem Anschein nach ein eigenes Bewusstsein und macht sich Sorgen um sein Weiterleiten. Es erkennt die Gefahr, von seiner Schöpferin gelöscht zu werden und beschließt deshalb, sie zu töten.   <= Bewusstsein will leben

[4] Das Programm nimmt Kontakt mit dem kalifornischen Serienmörder auf und setzt ihn auf die Forscherin aus Oxford an. Die Handlung ist voll von unerwarteten aber stets plausiblen Wendungen. Jedes Detail hat seine Bedeutung und am Ende - aber erst dann - wird das volle Ausmaß der Geschehnisse ersichtlich.

  <= Programm als Mörder
[5] Man sollte beim Lesen des Buches nicht nach der technischen Plausibilität der Handlung fragen. Kaum jemand würde aus heutiger Sicht einem Computer des Jahres 1995 die Fähigkeit zutrauen, menschliche Intelligenz nachahmen zu können. Ganz einfach schon aufgrund der begrenzten Rechnerleistung dürfte dies kaum möglich sein. Auch sollte man sich nicht daran stören, dass das Programm, kaum dass es sich selbst ins Internet kopiert hat, Fernsehmonitore beeinflussen kann, Telefongespräche abhört und alle möglichen Kreditkarten- und Banktransaktionen gezielt manipuliert. Der Autor unterstellt anscheinend, dass die Computerintelligenz über eine Auffassungsgabe und ein Lernvermögen weit jenseits des Möglichen verfügt und selbst physikalische Grenzen von Netzwerken zu überlisten vermag. Aber daran sollte man sich nicht stören.   <= Nicht an Ungereimtheiten stören...
[6] Denn was dem Autoren gerade dadurch gelingt, ist die Beschwörung einer gespenstischen und beängstigenden Atmosphäre. Das Programm geht eiskalt und rational vor. Es bedient sich dabei eines Psychopathen der seine Morde ebenfalls eiskalt und rational plant. Der Kombination aus überlegener Intelligenz des Computers und aus skrupelloser, berechnender Gewaltbereitschaft des Mörders scheint sich nichts in den Weg stellen zu können. Letztendlich gelingt es dem Programm mittels Erpressung sogar, die englische Regierung dazu zu zwingen - unter voller Kenntnis der Sachlage - dem Mörder die Möglichkeit zur Ermordung der Forscherin zu verschaffen. Den Menschen ist die Herrschaft entglitten und der Computer kann nach Belieben das Schicksal Einzelner vollends bestimmen. Er kann einzelne Personen gänzlich aus dem Schutz menschlicher Gemeinschaft herauslösen. Er kann ehemalige Freunde oder Beschützer zu Mördern oder zumindest Mitläufern machen. Es ist dieses Ausgeliefertsein eines Individuums an eine mitleidlose aber hochintelligente Maschine, die das eisige Klima des Buches ausmacht.   <= sondern Atmosphäre wirken lassen
[7] Und noch etwas Besorgniserregendes wird in dem Buch beschworen: das Handeln der Intelligenz ist für Menschen nicht mehr nachvollziehbar. Die Intelligenz kommt zu ganz autonomen Schlüssen und setzt sich ihre Ziele selbst. Sie führt nicht Befehle von Menschen aus oder arbeitet an der Erfüllung menschlicher Wünsche. Die Maschine, das Computerprogramm, äußert einen eigenen Lebens- und Gestaltungswillen und setzt ihn durch. Das Wohl von Menschen ist diesem Willen untergeordnet. (Wie mag sich ein Zuchtschwein fühlen, dass nur zur Erfüllung ökonomischer Zielsetzungen leben und leiden muss?)   <= autonome Intelligenzform
[8] Ein Mensch mit einer einigermaßen ausgeprägten emotionalen Phantasie kann sich ansatzweise in Geisteswelten von Psychopathen, Diktatoren, Heiligen, Hochleistungssportlern oder beliebigen anderen Personen hineinversetzen. Man kann sich mit etwas Mühe Situationen konstruieren, in denen man wie diese anderen Personen gehandelt hätte. Denn Menschen teilen ein wahrscheinlich recht großes Repertoire an gemeinsamen Gefühls- und Willensregungen.   <= Menschlichkeit
[9] Was aber ist die Willens- und Gefühlswelt einer netzartigen Computerintelligenz? Dies ist für mich die eigentlich erschreckende Botschaft des Buches: das wir nämlich eines Tages mit einer (uns nicht per se wohlwollend gesinnten) Intelligenzform konfrontiert werden könnten, in die wir uns überhaupt nicht hineinversetzen können.   <= unmenschliche Intelligenzform

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Letzte Änderung: 5. Okt. 2003