Chronik einer Endomorphose, 3. Mai 2000

Im Deutschlandfunk (Radio) wurde heute die folgende Sendung ausgestrahlt:

19:15   Zur Diskussion
Ethik und medizintechnischer Fortschritt - Was ist machbar, was ist erlaubt? Diskussionsteilnehmer:
  • Jan-Peter Beckmann, Fernuniversität Hagen, Institut für Philosophie
  • Hubert Hüppe, CDU-MdB, Enquetekommission Bioethik
  • Christiane Woopen, Universität Köln, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin Leitung: Mirko Smiljanic
  • Diskutiert wurden vor allem Möglichkeiten einer gesetzlichen Handhabung der Manipulation und Vervielfältigung menschlicher Embryonen. Die Gesprächsteilnehmer waren sich einig, daß die Diskussion in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) sehr viel freizügiger geführt wird als in Europa. In den USA steht entsprechend dem "American Dream" das Recht des Einzelnen auf Reichtum und die persönliche Nutzung seines Reichtums ganz oben an. In Europa hingegen ist die Diskusstion mehr durch gesellschaftliche und ethische Interessen geprägt.

    Die Diskussion zeigte, daß zunächst keine Gefahr von rassenwahnsinnigen Diktatoren oder skrupellosen Wissenschaftlern ausgehen wird, sondern einfache Bürger ihr Recht auf gesunde Kinder geltend machen werden.

    Es ist heute gentechnisch möglich, künstlich gezeugte menschliche Embryonen auf gewisse Gendefekte, sprich Krankheiten, hin zu untersuchen. Eltern haben somit die Möglichkeit aus verschiedenen Embryonen den gentechnisch Gesundesten herauszusuchen. Daß dies eine Form der Eugenik sei, darin waren sich die Teilnehmer einig.

    In Europa ist es zur Zeit verboten, künstliche gezeugte Embryonen nicht in den Mutterleib einzupflanzen. Eine in vitro Zucht zu Versuchszwecken ist somit ausgeschlossen. Im Gegensatz hierzu herrschen in den USA derlei Einschränkungen nicht. Wo man in Europa über gesetzliche Auflagen spricht, redet man in den USA lediglich darüber, welche Forschung mit öffentlichen Geldern gefördert werden soll und welche nicht. Privat geförderte Gentechnik unterliegt in den USA kaum Einschränkungen.

    Die Diskussionsteilnehmer zeichneten sich durch ein geringes Maß an ideologischem Engagement aus. Sie erwogen relativ emotionslos welche rechtlichen Regelung mit welchen Erfolgschancen umgesetzt werden könnten. Zu restriktive Regelungen wie etwa ein generelles Verbot von Genmanipulationen würden beispielsweise nur zu unkontrollierbaren illegalen Tätigkeiten führen. Was in Deutschland verboten und in Belgien beispielsweise erlaubt sei, kann nicht dauerhaft unterdrückt werden. In Summe waren sich die Teilnehmer also einig, daß zukünftig Genmanipulationen am Menschen angewendet werden. Auch daß private Krankenversicherungen bereits günstige Konditionen für "gengeprüfte" Kinder anbieten wollen, wurde erwähnt.

    Was auffälligerweise nicht diskutiert wurde, waren Genmanipulationen über den unmittelbaren medizinischen Kontext hinaus. Daß also Genmanipulationen einmal dazu dienen könnten, differenzierte Formen von Menschen in Anpassung an bestimmte Lebensumfelder oder soziale Aufgaben zu erzeugen, blieb außen vor. Visionen von Call-Centre-Angestellten ohne wesentlichen Körper, von kiembenwehrten Tauchern, von muskelarmen Weltraumbewohnern, von geklonten Killer-Soldaten wurden nicht genannt.

    Das düsterste beschriebene Szenario bezog sich darauf, daß die Nutzung von Genmanipulationen oder patentierten Genen Geld kostet und sich die menschliche Gesellschaft in Zukunft zweiteilen wird: Reiche gesunde Menschen die sich die Methoden der Gentechnik erlauben können und minderbemittelte Arme die ohne den Segen der Gentechnik auskommen müssen.

    Eine ähnliche Vision beschrieb bereits um 1900 der englische Autor H. G. Wells in seinem Buch "The Time Machine". In einer fernen Zukunft wird die Menschheit aus den schönen, wohlgeformten Eloi bestehen. Diese sind dekadent aber freundlich und die unmittelbaren Nachkommen wohlhabender Fabrikbesitzer des 20. Jahrhunderts. Zu einem Dasein unter der Erdoberfläche sind die hinterlistigen und bösen Morloch bestimmt. Als Nachfahren ehemaliger Arbeiter jagen sie nun den Eloi des nachts Angst und Schrecken ein.

    Gemischte Zeitungsartikel