Chronik
einer Endomorphose, 17. November 2001
Hirnforschung
Gedanken
machen mobil
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Zeitungsartikel aus dem Jahre
2001 Startseite des Kapitels:
Endomorphose
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In seiner Ausgabe vom 5.
November 2001 schreibt das Wochenmagzin "DER
SPIEGEL" von Seite 210 bis 213 über Fortschritte in
der hardwaremäßigen Integration von Gehirnen
und Computern. |
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Untertitel (Originalzitat):
"Neurowissenschaftler entwickeln Apparaturen,
die Hirnsignale belauschen und in elektronische Befehle
übersetzen. Im Experiment wachsen Nervenzellen und
Computerchips zusammen. Schon bald soll es Gelähmten
ermöglicht werden, per Gedankenbefehl Maschinen zu
steuern." |
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Buchttipp: Ersatzteillager Mensch.
Ein Buch über die Kommerzialisierung des menschlichen
Körpers (1994) |
Im Halbseitenformat zeigt
der Artikel das Bild einer amöbenhaft daherkriechenden Nervenzelle
einer Schnecke, die sich über die
geometrisch-regelmäßige Oberfläche eines Siliziumchips
ausbreitet. |
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Zellen und Chips wachsen
zusammen |
Der Artikel beginnt mit der
Beschreibung, wie Wissenschaftler einem Rhesusaffen
Elektroden ins Gehirn setzten, mit dem sie nun
Hirnsignale abgreifen können. Diese Signale werden an
einen Computer weitergeleitet, der wiederum einen
Roboterarm steuert. Der nächste Schritt sei es, eine
Funkdatenübertragung zwischen den Hirnelektroden und dem
Roboterarm zu errichten. Zitat: "Die kühne
Bohrung und die Versuche an Affen künden von einer
spukhaften Vision der Wissenschaft: Menschen tragen Chips
im Gehirn und steuern damit Maschinen - indem sie die
Befehle einfach denken." |
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Buchttipp: die Technik auf dem Weg zur Seele
(1996)
Buchtipp: Ray Kurzweil
prophezeit hybride Lebensformen noch für dieses
Jahrhundert |
In einem Versuch wurden die
Daten des Affenhirns sogar über das Internet
zu einem 1000 km entfernten Prothesenarm geschickt, der
darüber erfolgreich gesteuert werden konnte. |
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Als beispielhafter Erfolg
dieses Weges wird der 63 Jahre alte Johannes Ray
aus Carollton (USA) angeführt. Er erlitt vor drei Jahren
einen Schlaganfall, könne aber jetzt über implantierte
Elektroden bereits einen Computer steuern. |
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Neuroelektrische Piloten? |
Der Artikel
beschränkt sich ganz auf die Schilderung des
Standes der Forschung und vermeidet es, denkbare
Entwicklungsmöglichkeiten aufzuzeigen oder gar zu
bewerten. Leider ist dieser Artikel damit ganz auf der
Linie der meisten Beiträge zum Thema
Mensch-Maschinen-Schnittstelle: es wird gezeigt wie
verblüffend weit die Forschung inzwischen
vorangeschritten ist, es wird aber nichts oder wenig
darüber gesagt, welche wirtschaftlichen, moralischen
oder gesellschaftlichen Wünsche und Zwänge aus dem
Machbaren das Gemachte schaffen könnten. |
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Und dabei zeigen doch die
Erfolge der Wissenschaftler dass das "Gehirn
in der Schüssel" immer näher rückt. Was
könnte man nicht alles mit diesen Möglichkeiten
"verbessern": |
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Animation: Mensch wächst mit
Computer zusammen |
- Krankheiten die außerhalb des
Gehirns ablaufen müssen nicht mehr
lebenszeitbegrenzend wirken: Menschen (bzw. deren
Gehirne) könnten vielleicht sogar potentiell
unsterblich werden (was immer das heissen soll).
- Durch das Anzapfen jener Hirnsignale die das unbewußte
Geschehen im Gehirn betreffen ließe
sich die Bandbreite der "Bussysteme"
zwischen Hirn und Maschine erheblich erweitern.
Statt der wenigen bits/s die man über eine
Tastatur übertragen kann, ließen sich
vielleicht einmal Terabits/s über
Breitbandschnittstellen aus den niederen
Hirnbereichen oder aus dem gesamten Areal der
Großhirnrinde parallel abgreifen.
- Der Datenaustausch könnte bidirektional sein:
ein Handy muß nicht mehr
lästig in einer Kneipe oder im Kino klingeln,
man unterhält sich telepathisch mit seinem
Gesprächspartner und stört niemanden mehr.
Merkwürdig nur die Vorstellung, dass ein realer
Mensch mit dem man kommuniziert, gleichzeitig ein
Gedankengespräch mit einer anderen Person
führt.
- Man könnte die Hirnaktiviät von Menschen auf kriminelle
Regungen abscannen und diese Regungen
rechtzeitig - vielleicht sogar per anonmyen
"thought management tool" -
unterdrücken. George Orwells Vorstellung des
"thought crime"
(beschrieben in dem Klassiker "1984")
könnte bald einer praktischen Handhabung
zugeführt werden.
- Man könnte Roboter bauen, die sowohl efferent
als auch afferent mit einem Hirn zusamenwirken:
die Roboter können Steuersignale ausführen und
Sinnessignale an das Gehirn zurückmelden. Der
polnische Autor Stanislaw Lem beschrieb in seinem
Klassiker (veröffentlicht 1987) "Peace on
Earth" diese Technik unter dem Namen "remotes"
"Where a man can`t go, a remote
can", "remote adultery",
"remote incest", "remote
sadism".
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- Man könnte Firmen kreiiren, in
den die Mitarbeiter keine
Körper mehr haben sondern nur noch mit dem Intranet
verschmolzene Gehirne sind. Das würde
gewaltig Kosten sparen: man bräuchte keine
Büros, keine Telefone, keine Personal Computer,
keine größeren Gebäude mit Heizungen mehr, die
Gesundheitskosten würden rapide fallen und sogar
volkswirtschaftlich und ökologisch wäre dies
ein gewaltiger Vorteil: der ganze berufsbedingte
Verkehr würde wegfallen, der Flächenverbrauch
aufgrund der Wohnhäuser und Straßen von
Menschen wäre überflüssig, Krankenkassen
könnte man abschaffen. Kurzum: die Gehirne in
der Schüssel würde die drängendsten Probleme
moderner westlicher Gesellschaften stark mildern
wenn nicht sogar ganz lösen.
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Animation: organisationales
Nervennetz Die neuronale Intelligenz von
Unternehmen
Die genetische Intelligenz von
Unternehmen
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- Ja, letztendlich könnte man die Computer auf der
ganzen Welt mit unseren Gehirnen zu einem hybriden
Gemenge intelligenzproduzierender Schaltkreise
integrieren: das globale Gehirn, der denkende
Planet!
Aber. Wozu? Wohin? Was ist Bewußtsein? Was soll in
einer solchen Welt grundsätzlich besser sein als jetzt?
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Die antiken Griechen über die
Beseeltheit des Kosmos Internetsuchtipp
zum globalen Gehirn: "Francis Heylighen",
"Joel de Rosnay", "Principia Cybernetica
Web", "Howard Bloom", "Santa Fe
Institute"
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Eine solche neue Welt
wird natürlich effizienter sein als unsere
jetzige alte Welt. Staaten, die sich auf den Weg hin zu
hybriden Mensch-Maschinen-Systemen begeben werden
wirtschaftlich und damit auch militärisch stärker sein
als Staaten die dies nicht tun. Und letztendlich
verbreitet sich das Stärkere immer. Ob man will oder
nicht. |
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Die Mystik des Bewussteins |
Aber müssen wir nicht mit
dem Inder Jiddu Krishnamurti (1895-1986) fürchten, dass
dies hinführt zu "einer Welt, die immer
tüchtiger wird und daher immer unbarmherziger" ?
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Aus dem Buch: Jiddu Krishnamurti: Einbruch
in die Freiheit, ISBN 3 548 34103 9 (Seite
102) |
Und hier möchte ich diese
Gedanken auch zu Ende bringen: mit der Frage
Krishnamurties nach der Barmherzigkeit, nach dem Mitgefühl
gegenüber anderen Kreaturen. Der Spiegel
Artikel, den ich eingangs kurz beschrieb, zeigte die
Bilder eines kleinen Affen, den man über Elektroden mit
einem Computer verbunden hatte. Was rechtfertigt es, den
Affen, ein sicherlich fühlendes, leidensfähiges Wesen,
zu solchen Zwecken zu instrumentalisieren? Kümmern wir
uns ernsthaft darum, auch diesem Tier ein würdiges Leben
zu bereiten? Gestehen wir diesem Wesen ein Bedürfnis
nach sozialer Nähe, nach Erfüllung seiner Wünsche bei?
Achten die Experimentatoren auf die Gestik und Mimik des
Tieres, nehmen sie seine Angst ernst? |
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Wir sollten vorsichtig sein
mit der Verwendung utilitaristischer
Zweckargumentationen. Die gleichen Argumente die
es uns heute als notwendig erscheinen lassen, die
individuellen Bedürfnisse eines kleinen wehrlosen
Rhesusäffchens uneingeschränkt zu respektieren, diese
gleichen Argumente werden es vielleicht auch einmal als
notwendig erscheinen lassen, unsere eigenen menschlichen
Bedürfnisse Zweckmäßigkeitsüberlegungen unterordnen
zu müssen. Wir haben es aber vielleicht in der Hand
darüber zu entscheiden, was wir als zweckmäßig
erachten und was nicht. Hierin liegt die Chance für die
Zukunft.
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John
Steinbeck beschreibt in seinem Buch "Die
Früchte des Zorns" aus dem Jahre 1939 die
seelenlose Macht der Wirtschaft |
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