Chronik einer Endomorphose, 27. Juli 2001

Evoluierende Computerwürme
Ein alter Gedanke wird immer aktueller

   
Ein Artikel in der Online-Version der Aachener Zeitung vom 27. Juli berichtete von einer zunehmend verbreiteten Art von Computerschädlingen. So wurde nach dem Artikel auf einer Hacker-Konferenz in Las Vegas festgestellt, dass Viren wie "Loveletter" und "Melissa" nur der Anfang gewesen seien.

   
Die nächste Generation von Computerschädlingen soll angeblich in der Lage dazu sein, sich selbst der Umgebung anzupassen, zu mutieren sozusagen. Zudem sei damit zu rechnen, dass sich diese Computerwesen auch untereinander verständigen werden. Der Gedanke liegt nun nahe, in diesen Wesen den Keim einer zukünftigen Cyber-Lebensform mit Schwarmeigenschaften wie sie Insekten haben zu sehen. Darauf ist der Artikel allerdings nicht eingegangen.

   
Die Idee insektenhafter Lebensformen die in ihrer Gesamtheit vielleicht die Intelligenz von menschlichen Gesellschaften übertreffen tauchte insbsondere in der Science Fiction Literatur immer wieder auf.

   
Der englische Autor Olaf Stapledon beschrieb in seinem Klassiker "Last and First Men" auf über 20 Seiten in den Kapiteln "The Martians" und "Earth and Mars" eine Art intelligenter Wolken, die auf dem Mars durch evolutive Prozesse entstanden seien. Diese Lebensform besteht aus kleinsten, submikroskopischen Partikeln (subvital units) die über elektromagnetische Wellen untereinander Kontakt halten. Jeder Staubpartikel ist für sich überlebensfähig, jedoch können sich die Partikel kurzfristig zu übergeordneten Gebilden mit Bewußtsein und hoher Intelligenz zusammensetzen. Als solche fielen die Marsbewohner auf der Erde ein und bedrohten die menschliche Rasse.

  Vollständiger Titel und KurzbeschreibungLast and First Men von Olaf Stapledon
Kurioserweise erwähnt Stapledon, dass Selen eine wesentliche Rolle im Aufbau dieser kleinsten Lebewesen spielt. Auch nutzen diese Lebensformen das Sonnenlicht zur Energiegewinnung. Hat Stapledon hier kleine, fliegende Computerchips vorausgeahnt, wie sie heute unter dem Stichwort "intelligenter Staub" hin und wieder in der Presse auftauchen?

   
Ein anderer Autor der fasziniert war von der Idee intelligenter kollektiver Lebensformen ist der Pole Stanislaw Lem.

   
In seinem skurrilen Buch "Peace on Earth" beschreibt er, wie die Menschheit den technischen Rüstungswettlauf auf den Mond verlegt hat. Dort evoluieren, unbeobachtet von der Menschheit, Kampfroboter und Computerprogramme von alleine weiter. Sieger ist eine Art intelligenter Staub, der letztendlich durch ein Unglück auf die Erde gelangt und dort jegliche elektronische Kommunikation auf einen Schlag beendet: das Ende der menschlichen Zivilisation.

  Vollständiger Titel von "Peace on Earth"Peace on Earth von Stanislaw Lem
In einem anderen Buch mit dem Titel "Der Unbesiegbare" schildert Lem die Abenteuer einer Expedition zu einem fremden Planeten. Dort trifft die Mannschaft auf mysteriöse schwarze Wolken, die aus winzigen Metallteilchen bestehen und wie Stapledons Marswolken eine kollektive Intelligenz besitzen. Dramaturgischer Höhepunkt des Buches ist der Kampf zwischen einer schwarzen Wolke und einem bis dahin für unbesiegbar gehalten Kampfroboter mit dem Namen Zyklop. Den Expeditonsteilnehmern gelingt es nicht, näheres über die Existenz einer Psyche dieser Wolke herauszufinden.

   
In dem Buch "Die Astronauten" trifft eine Expedition auf die Technik einer hochstehenden Zivilsation, jedoch kann der Urheber dieser bloß vermutet werden. Am ehesten sind es kollektiv intelligente Ameisen aus Metall. Diese wiederum hatten 1908 eine Sonde zur Erde geschickt, die als tungusischer Meteorit in Sibirien niederging. Jedoch erkannte die programmierte Sonde in den Menschen keine intelligenten Lebensform.

  Vollständiger Titel von "Die Astronauten"Die Astronauten von Stanislaw Lem
Der amerikanische Geschäftsmann und Visionär Ray Kurzweil, ein bekennender Extropier, schreibt in seinem Buch "Homo S@piens" ebenfalls davon, dass kleine programmierte Miniaturroboter eine kollektive Intelligenz entwickelt könnten und letztendlich um letztendlich eine Bedrohung für uns darzustellen.

  Auszüge aus dem InhaltsverzeichnisHomo S@piens von Ray Kurzweil

Über einen Zeitungsartikel aus dem Jahre 2000Das Bekenntnis der Extropier

Und ob nun die kleinsten Einheiten dieser kollektiven Intelligenzen physikalisch existierende künstliche Insekten oder Staubpartikel sind oder aber ob sie virtuell im Computernetz leben, das dürfte für ihre Fähigkeiten uns den Rang einer "Krone der Schöpfung" streitig zu machen keine allzugroße Rolle spielen.

   
In einem Spiegel Artikel aus dem Jahre 1993 wird von einem Kongress von "Computerfreaks" (Zitat) im österreichischen Linz berichtet. Thema sei das künstliche Leben (KL) gewesen. Einer der Teilnehmer sei der damals 38jährige Tom Ray gewesen. Der habe in seiner Kunstwelt "Tierra" Sequenzen von Programmcode in einem evolutiven Kampf um Rechnerkapazität gegeneinander antreten lassen. Rays Computerwesen hätten dabei eigenständig Phänomene biologischer Ökologie wie etwa Parasitismus, die Ausbildung von Immunsystemen, soziales Verhalten und Sexualität hervorgebracht. Ich meine mich auch erinnern zu können, dass ich Tom Rays Namen später im Zusammenhang mit einem Vorhaben wahrgenommen hätte, diese Wesen im Internet auszusetzen, sodass sie sic dort nach nicht kontrollierbaren eigenen Gesetzmäßigkeiten entwickeln könnten. Andere Namen, die in dem Artikel genannt wurden waren der des polnischen Computergrafikers Przemyslaw Prusinkiewicz, Larry Yeager und Rodney Brooks.

  "Der Spiegel", 25/1993, Seite 160-164
Nach dem Spiegel-Artikel habe man auf der Konferenz unter anderem von "Schwärmen elektronischer Insekten" und sich selbst replizierender Fabriken auf dem Mond gesprochen. Der Artikel war jedoch in einem eher skeptischen Tenor geschrieben.

  Vollständiger Titel von "Peace on Earth"Peace on Earth von Stanislaw Lem: in dem Buch ist die Rede von vermehrungsfähigen Kampfmaschinen auf dem Mond!
Howard Bloom analysiert in seinem Buch "Global Brain" biologische und erdgeschichtliche Befunde und destilliert daraus fünf Grundmechanismen komplexer adaptiver Systeme und benutzt dabei die Metapher sozialer Gehirne. Insbesondere betrachtet Bloom die kollektive Intelligenz von Bakterienkolonien und er legt faszinierend dar, wie diese auf höchst intelligente Weise kooperieren und sogar ihren genetischen Code gezielt verändern können.

  Vollständige Titelangabe des Buches aus dem Jahre 1999Howard Bloom: Global Brain - die Evolution sozialer Intelligenz
Vielleicht entstehen aus den eingangs genannten neuen Generationen von Computerviren und -würmern wirklich einmal kollektiv intelligente Cybersozietäten. Es bleibt aber abzuwarten wie diese uns Menschen gegenüber gesonnen sein werden. Sowohl Wissenschaftler als auch Science Fiction Autoren sehen jedenfalls das ganze Spektrum von einer Bedrohung bis hin zu pardiesschaffenden Heinzelmännchen für uns Menschen als denkbar an.    
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