Chronik einer Endomorphose, 26. Februar 2001

Greenpeace, BSE und die Gentechnik

 
Das SPD Parteiblatt "Vorwärts" brachte in seiner Januarausgabe eine Reihe von kritischen Beiträgen zu den Chancen und Gefahren der Gentechnik, doch wurden nirgends greifbare Gefahren der Gentechnik beschrieben.

In der Tat gibt es eine ganze Reihe sehr greifbarer Vorteile der Gentechnik wie die Verhütung genetisch bedingter Krankheiten und die gezielte "Züchtung" von Pflanzen und Tieren.

Gefahren hingegen wirken stets künstlich heraufbeschworen, utopisch und wenig plausibel. Ein Beispiel sind Chimären, also Mischformen verschiedener tierischer Lebensformen, die kaum ein heute lebender Mensch mit irgendwelchen realistischen Bedrohungen in Verbindung bringen dürfte.

Der Umweltschutzorganisation Greenpeace scheint dieser Mangel in der Argumentation sehr bewußt zu sein. Auf einem vierseitigen Flugblatt (Februar 2001) im Rahmen einer Unterschriftensammlung zur Präsentation bei Bundeskanzler Gerhard Schröder (oder anderen geeigneten Stellen) entwickelt sie deshalb eine ganz andere Argumentation als bloße Verweise auf diffus formulierte Gefahren. Sie macht aus der Not eine Tugend.

Sie hinterfragt die Glaubwürdigkeit beziehungsweise die Weitsicht der Protagonisten neuer Techniken am konkreten Beispiel der Krise um die Rinderseuche BSE. Nachdem schon seit Jahren vermutet wurde, daß BSE mit gewissen für den Menschen tödlich verlaufenden Krankheiten (Kreutzfeldt-Jacobs-Syndrom, oder so) in Zusammenhang stehen könnte, werden erst jetzt aufgrund einer unkontrollierten Ausbreitung der Seuche über Europa drastische und für viele finanziell sehr schmerzhafte Maßnahmen ergriffen. Bis dato vertraute man a) auf die Aussagen von Politikern, daß alles unter Kontrolle sei und b) auf zitierte Experten, nach denen nichts Konkretes zu befürchten sei. Greenpeace erinnert nun in dem Schreiben daran, daß schon lange vor der BSE-Krise eine nicht artgerechte Tierhaltung industrieller Ausprägung vielfach kritisiert wurde:

  • Hühnerhaltung in Legebatterien
  • Nikotinverseuchung der Hühnerställe
  • Nematoden im Fisch
  • Antibiotika und Hormone in der Schweinemast
  • Dioxin in Eiern...

Bezüglich der Verfütterung von Tiermehl habe man sich auf die Aussage verlassen, daß die ausreichende Erhitzung von Tiermehl jegliche Krankeitserreger - Bakterien und Viren - abtöte. Man habe aber nicht gewußt, daß es Eiweiße gibt, die Prionen, die trotz einer Erhitzung noch Krankheiten wie BSE auslösen können.

Und hier zieht Greenpeace die Analogie zur Gentechnik. Wenn man heute argumentiere, daß gentechnisch veränderter Mais keine Gefahr darstelle, dann komme dem die gleiche Aussagekraft zu wie der inzwischen überholten Aussage, daß Tiermehlverfütterung gefahrlos sei.

Um die Phantasie des Lesers anzuregen wird das Bild einer Bodenbakterie gezeichnet, welche durch den Einfluß gentechnisch veränderten Mais zu einer giftigen Variante mutiert, aus dem Boden aber nicht mehr entfernt werden könne.

Dennoch: sosehr ich glaube, daß die Gentechnik in den kommenden Jahrzehnten einige Horroszenarien oder aber zumindest ethisch äußerst schwierige Situationen erzeugen wird, sowenig glaube ich, daß sie sich vermeiden lässt. Zu groß werden die realen Vorteile sein, welche die Gentechnik verspricht und auch halten wird.

Statt die Gentechnik zu verhindern, sollte man ihr Kommen als zwangsläufig und unaufhaltsam akzeptieren. Man sollte aber gleichzeitig gezielt realistische Horrorszenarien ausmalen und sich auf diese vorbereiten.

Aber diesbezüglich mangelt es der Diskussion um die Gentechnik am gleichen wie der Diskussion um den Klimawandel: differenziert ausgearbeiteten Notfallplänen.

Der Beitrag von Greenpeace ist aber insofern äußerst wichtig und auch nützlich, daß er der Diskussion Zeit verschafft, vorschnelle und unumkehrbare Entscheidungen zumindest verzögert und somit die Entwicklung auf fundiertere Fundamente stellt.

 

 
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