Chronik einer Endomorphose, 25. Februar 2001

Wo ist der Notfallplan für einen Klimawandel?

 
Obzwar in wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die Wahrscheinlichkeiten und vor allem die denkbaren Folgen eines Klimawandels die Meinungen weit auseinandergehen, überwiegt in Zeitungen und Radiobeiträgen zunehmende der Tenor, daß ein Klimawandel fast sicher kommen werde.

Umso verwunderlicher ist es, daß sich die öffentliche Diskussion vor allem um Fragen der Zwangsläufigkeit und den Zeitablauf dreht. Hilft es, wenn Deutschland den CO2-Ausstoss reduziert, derweil China und Amerika nicht daran denken? Schmelzen die Gletscher in 100 oder in 1000 Jahren? Welchen Einfluss hat Methan auf den Treibhauseffekt? Was sind die Mechanismen eines Meeresspiegelanstiegs?

Extrahiert man die Essenz aus verschiedensten Pressebeiträgen, so gewinnt man den Eindruck, daß Deutschland zwar die Gefahr durchaus ernstzunehmen bereit ist, aber auf die internationalen Entscheidungsträger nicht bereit sind, wirksame Maßnahmen zu ergreifen.

Glaubt man dem mittleren Meinungsbild von Zeitungen, Maganzinen und Radiobeiträgen, dann kann man einzig und allein den Schluß ziehen, daß ein Klimawandel definitiv kommen wird.

Also, so sollte man weiter denken, wäre es an der Zeit, die denkbaren Folgen bereits jetzt in die langfristige Politik einzubeziehen:

  • Welche Geldsummen wird ein verstärkter Küstenschutz benötigen, um einen Meeresspiegelanstieg von z. B. einem Meter zu begegnen? 3 oder 300 Milliarden DM?
  • Welche Kosten könnten auf das Gesundheitssystem zukommen, wenn sich für das Mittelmeer typische Krankheiten in Mitteleuropa ausbreiten?
  • Welche Maßnahmen müssen Land- und Fortstwirtschaft ergreifen? Wird es bei 2° erhöhter Jahresmitteltemperatur (wie immer diese auch definiert ist) noch verwertbare Fichten- und Buchenbestände geben können? Welche Schädlinge werden auftreten und wird man ihnen mit den erlaubten Schädlingsbekämpfungsmitteln begegnen können?
  • Wie müsste die europäische Union reagieren, wenn Deutschland auf einmal mit dem Anbau von Freilandtomaten gegenüber den Mittelmeerländern in Konkurrenz tritt?
  • Wer soll die Folgekosten tragen, wenn auf einmal weite Gebiete landwirtschaftlich veröden (Regen bleibt aus)?
  • Werden die Alpenregionen zu strukturschwachen Gebieten erklärt werden müssen, wenn dort einmal kein Wintertourismus mehr möglich sein wird?
  • Werden von Stürmen, Überflutungen und Einnahmeeinbußen gechädigte Bewohner einmal die europäischen Regierungen genauso auf Schadensersatz verklagen können, wie dies heute die Bauern aufgrund ihrer Einnahmeausfälle infolge der Rinderseuche BSE tun wollen?
  • Wie müssen die Gesetze zur Regelung von Einwanderungen ausländischer Personen geändert werden, wenn es auf einmal Millionen von "Klimaflüchtlingen" aus niedrig gelegenen Regionen geben sollte? Muss dann ein neues Wohnungsbauprogramm aufgelegt werden?

In einem Buch über den Reichskanzler Otto von Bismarck (1815-1898) las ich einmal, daß dessen Erfoglsgeheimnis nicht darin bestanden haben soll, daß er immer wußte wie man siegt, sondern vor allem darin, daß er für jeden denkbaren Mißerfolg einen Plan hatte. Er konnte jederzeit, wenn ein Krieg oder ein diplomatisches Zauberkunststück schlecht laufen sollte, einen vorteilhaften Rückzieher machen.

Hieran aber mangelt es heute. Ich glaube, daß die Menschschheit druchaus mit einem auch dramatischen Klimawandel wird umgehen können. Unsere technologischen und administrativen Fähigkeiten würden es jederzeit erlauben, landwirtschaftliche Anbaugebiete im großen Stil umzuverlegen. Auch die Umsiedlung von Millionen von Menschen wurde im 20. Jahrhundert mehrfach praktiziert (z. B: Vertreibungen im 2. Weltkrieg, Bevölkerungsaustausch Türkei-Griechenland um 1920) und führte an sich nie zum Zusammenbruch eines Landes. Die Niederlande beweisen, daß man auch weite Flächen eines Landes weit unter dem Meeresspiegel bewohnen kann. Die USA beweisen, daß man in fast allen Klimazonen eine florierende Wirtschaft betreiben kann und selbst wiederholte Wirbelstürme keine technologische Zivilisation ernsthaft bedrohen.

Aber: der Wandel wird Geld kosten und vor allem wird er, und das ist viel gravierender, die Profiteure des momentanen Status Quo benachteiligen. Hierin ist die eigentliche Gefahr eines Klimawandels zu sehen. Nicht die Auslöschung der Menschheit oder die Zerstörung einzelner Staaten bedroht uns. Vielmehr muß man Angst davor haben, daß die Nutznießer der gegenwärtigen Wirtschaftsstrukturen ihren Einfluß auf die Politik solange dazu nutzen nichts zu ändern, bis die Änderungen dann nicht mehr auffschiebbar sind.

Der momentane Skandal um die Rinderseuche BSE ist eine erschreckende Warnung, was passiert wenn man frühzeitige Anzeichen nicht ernst nimmt. Der Nutzen eines jahrzehntelangen billigen Fleischkonsums verkehrt sich nun in sein Gegenteil:

  • Die Verbraucher meiden Rindfleisch, sie verzichten aus Angst vor der Krankheit auf Rindswürste, Braten und Wurst.
  • Die Fleischer haben Umsatzeinbußen
  • Rinderzüchter haben Umsatzeinbußen
  • Poliker werden für die Krise verantwortlich gemacht, zwei Minister in Deutschand (Andrea Fischer und Karl-Heinz Funke mussten zurücktreten).
  • Die hohen Folgekosten (Verbrennung von Tierrückständen, administrative Kosten, Aufkauf von Rindern zur "Marktstützung") trägt der Steuerzahlen (also auch Vegetarier!)

Eskaliert ein lang erahntes Problem plötzlich zur Krise, dann ist kein Spielraum mehr für überlegtes, geplantes Handeln. Dann sind ad hoc Maßnahmen unumgänglich, dann werden plötzlich Menschen zur Kasse und Verantwortung gebeten, die vorher eher zu den Mahnern gehöhrten, dann sind politische und finanzielle Ungerechtigkeiten nicht zu vermeiden. Und im Bezug auf die denkbaren Folgen eines Klimawandels dürfte sich der heutige BSE-Skandal eher klein ausnehmen.

Denn wenn auf einmal große Menschenmassen in Bewegung geraten, wenn auf einmal politische Krisen entstehen, wenn sich Nationen gegenseitig die Schuld zuschieben und drastische Maßnahmen einfordern oder diese verweigern, dann droht die Gefahr eines internationalen Chaos. Im schlimmsten Fall sind Wirtschaftszusammenbrüche und Krieg denkbar.

Aber all das wäre vermeidbar, wenn man bereits jetzt entsprechende international abgestimmte Pläne für den Notfall einrichtet. In der Presse hört man über solche Bestrebungen aber leider nichts.

 
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