Chronik einer Endomorphose, 27. Januar 2001

Die Freien Demokraten (FDP) möchten die Chancen der Gentechnik nutzen

Auf der Internet-Präsentation der FDP konnte man sich im Januar 2001 das folgendermaßen betitelte, zweiseitige Dokument besorgen:

Kongress
"Biotechnologie, eine Schlüsseltechnologie des 21. Jahrunderts"
11. Dezember 2000 in Mainz
Thesen

Die FDP lässt sich als Partei nur schwer in das gängige Spektrum zwischen Links und Rechts einordnen. Man kann sie am ehesten über den Begriff "liberal" im Sinne einer Laissez-Faire Politik charakterisieren. Leitmotiv ihres Denkens scheint die Annahme zu sein, daß sich eine Marktwirtschaft weitgehend von alleine zum maximalen Nutzen aller entwickelt. Der staatliche Einfluß ist demenstprechend auf ein Minimum zu reduzieren. So setzte sich die FDP beispielsweise vehement gege eine Lockerung von Gesetzen zur Einschränkungen staatlich genehmigter Telefonüberwachung ein und toleriert gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften durchaus.

Insbesondere scheint die FDP vergleichsweise geringe Zweifel daran zu haben, daß eine unmittelbare Bedürfnisbefriedigung von Individuen über die gängigen Marktmechanismen letztendlich keinen allzugroßen Schaden bewirken kann.

Im Zusammenhang mit der Gentechnik stellt sie eher den Nutzen als die Gefahren in den Vordergrund. Ich möchte aus dem oben genannten Papier einige Stellen zitieren, die mir typisch erscheinen (die Nummerierung entspricht nicht der Nummerierung im Originaldokument):

  1. Die F.D.P. fordert ein Fortpflanzungsmedizingesetz, das neben dem heutigen Embryonenschutzgesetz insbesondere Regelungen zum Umgang mit embryonalen Stammzellen sowie zur Präimplantationsdiagnostik trifft.
  2. Die F.D.P. spricht sich für eine Präimplantationsdiagnostik aus, die Familien mit hohen genetischen Risikofaktoren die Möglichkeit bietet, ein Kind zu bekommen, das die Erbkrankheit nicht hat. Diese Chance darf man schwer belasteten Paaren nicht versagen bzw. sie nicht zwingen, Hilfe im Ausland zu suchen.
  3. Die F.D.P. fordert die Bundesregierung auf, den politisch motivierten Stopp für den Bt-Mais unverzüglich rückgängig zu machen. Über die Zulassung und Freisetzung von gentechnisch veränderten Pflanzen entscheiden wissenschaftliche und nicht ideologische Kritierien.
  4. Die F.D.P. begrüßt die so genannte "Kanzler-Initiative" zur Steigerung der gesellschaftlichen Akzeptanz der grünen Gentechnik...Ab dem Jahr 2001 müssen gentechnisch veränderte Pflanzen in Deutschland und Europa großflächig angebaut und vermarktet werden können.
  5. Die F.D.P. fordert von der Bundesregierung eine breit angelegte und von den wesentlichen gesellschaftlichen Gruppen getragene Aufklärungskampagne zur Gentechnik, um das offensichtlich vorhandene Informationsdefizit in der Bevölkerung zu beheben und damit die Voraussetzungen für die gesellschaftliche Akzeptanz einer, auch unter ethischen Gesichtspunkten, vertretbaren Zukunftstechnologie zu schaffen.
  6. Die F.D.P. fordert eine schnelle Umsetzung der "EU-Richtlinie über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen"...Innovative Forschungstätigkeit muss am Standort Deutschland unterstützt werden.
  7. Die Nutzung der Gentechnik zu verweigern oder durch bürokratische Verfahren zu verzögern, schadet nicht nur dem Wirtschaftsstandort Deutschland, sondern desillusioniert auch zahllose kranke Menschen, die auf Heilung hoffen. Das ist rot-grüne Politik gegen die Kranken und Schwachen.

Ich möchte nun einige der Zitate knapp zitieren. Zuerst einmal fällt auf, daß keinerlei Nachteile oder gar Gefahren der Gentechnik genannt werden. Diesbezüglich unterscheidet sich die Position der FDP nicht allzusehr von der Meinung der SPD, wie sie in der Januar Ausgabe des Parteiorgans "Vorwärts" aus dem Jahre 2001 dokumentiert wurde.

Die FDP tut sich aber über die meines Erachtens nach dorch recht unkritische Darstellung der Vorteile hervor. Es ist keineswegs so, daß die SPD oder die Grünen das berechtigte Bedürfnis nach der Heilung kranker Menschen in Frage stellen oder zynisch damit umgehen.

Im Punkt 2 kommt deutlich das grundsätzliche Dilemma im Umgang mit Forschungserkenntnissen im Allgemeinen zutage: Man kann Anwendungsmöglichkeiten nicht auf Dauer verhindern, wenn es anderswo erlaubt wird. In einer globalisierten Welt werden die Menschen notfalls dorthin gehen, wo sie mit Geld die zuhause verbotenen Dinge erlangen können. Und so verkehrt sich der Wunsch ethische Schranken zu setzen ins Gegenteil: man priviligiert Reiche die mit Hilfe des Geldes die Schranken umgehen können.

Bei Punkt 3 wäre zu fragen, was man unter "wissenschaftlichen" im Gegensatz zu "ideologischen" Kriterien zu verstehen hat. Sicherlich wird die FDP. nicht behaupten, daß ihr Parteiprogramm wissenschaftlich hergeleitet werden kann. Also handelt auch die FDP ideologisch motiviert und es stellt sich die Frage, aus welchem Grunde die FDP versucht, dieses Wort abwertend zu benutzen.

Zu Punkt 4 stellt sich die Frage nach dem "warum". Europa könnte sich landwirtschaftlich selbst versorgen und die Landwirtschaft wird sicherlich nicht als tragender Pfeiler der Industrie betrachtet. Man darf vermuten, daß die FDP hier selbst ideologisch motiviert argumentiert. Ihre Ideologie ist die generelle Bejahung freier Marktmechanismen. Und wenn man mit gentechnisch veränderten Produkten Gewinn machen kann, so ist dies aus FDP-Ideologie heraus zu bejahen.

Punkt 5 hat man wohl so zu verstehen, daß die Öffentlichkeit in Deutschland bloß nicht genug über die Gentechnik weiß, um sie viel stärker zu bejahen. Zwar fordert etwa die SPD Gesundheitsministerin Ulla Schmidt eine breit angelegte öffentliche Debatte, jedoch unterstellt sie nicht, daß diese zwangsläufig zu einer weiteren Akzeptanz der Gentechnik führen soll. Vielmehr sollte, so Ulla Schmidt, die Diskussion ergebnisoffen verlaufen.

Punkt 6 scheint auf eine schnelle Umsetzung gesetzlicher Regelungen abzuzielen, sodaß die Wirtschaft unter sicheren Rahmenbedingungen endlich mit entsprechenden Investitionen beginnen kann.

Auch wenn die FDP ethische Aspekte der Gentechnik viel weniger berücksichtigt als andere Parteien, so unterscheidet sie sich kaum von der SPD, den Grünen oder anderen gesellschaftlichen Gruppierungen in der Phantasielosigkeit drohende Gefahren plastisch auszumalen (siehe z. B: Olaf Stapledon oder Aldous Huxley oder der Roman "Die Zeitmaschine von H. G. Wells).

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Olaf Stapledon